1. Unter dem Einfluss des Bösen

    Gelungene Premiere von "Mefisto forever" im Landestheater

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    Detmold (nr). Macht missbraucht. Immer und überall, zu jeder Zeit, an jedem Ort. Sich dieser Macht entgegenzustellen braucht mehr, als Mut. Die meisten würden straucheln.

    "Mefisto forever", Tom Lanoyes freie Fassung von Klaus Manns "Mephisto", betrachtet die Kunst und das Verständnis über die Kunst in den Fängen der Macht. Das Böse korrumpiert zu jeder Zeit. Die Premiere am Freitagabend im Landestheater war überragend in der Darstellung und überaus gelungen in der Fassung von Lanoye.

    Das, was Klaus Mann drei Jahre nach Machtübernahme der Nationalsozialisten verfasst hatte, war an die sehr konkrete Person Gustaf Gründgens gebunden, der von 1937 bis 1945 Generalintendant am Preußischen Staatstheater war. Höfgens ist bei Klaus Mann Gründgens. Ein Opportunist, dessen charakterloses Verhalten von keinerlei Wertvorstellungen zeugt. Das, was an Gewissen vorhanden ist, wird Opfer von Skrupellosigkeit, Machthunger, Anpassung. Es ist einerseits die präzise Beschreibung, andererseits die Allgemeingültigkeit, die Mann geformt hat. Die Fassung von Tom Lanoye hat viele Kritiker. Zu allgemein, zu oberflächlich, zu bruchstückhaft, zu verwirrend, dem Thema entfremdet und die Personen zu hölzern und in ihrer Rolle undankbar undefiniert in den Raum gestellt. Der direkte Vergleich mag das tragen, aber nur das Wissen über die reale Figur im Kopf, erscheint die Fassung von Lanoye in sich stimmig.

    Gründgens ist hier Kurt Köpler (sehr intensiv dargestellt von Markus Hottgenroth). Der Opportunist, ein Stück weit naiv, verunsichert, aber gleichzeitig herrisch, auf der Suche nach der Ästhetik der Kunst, verliert sich im Machtgefüge des Systems, wird zu einer Marionette. Das kleine Gewissen in ihm zerrt dann und wann an seinem Ego, dann strauchelt er, nur um anschließend wiederum den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Viele straucheln neben ihm – aus unterschiedlichen Gründen. Rebecca Füchs (Ewa Rataj), Victor Müller (Stephan Clemens), Niklas Weber (Christoph Gummert), Nicole Naumann (Anna Katharina Schwabroh), Angela (Karoline Stegemann) und selbst "Der Dicke" (Jürgen Roth). Opfer, Überläufer, Regimekritiker, aber schließlich auch die Macht selbst.

    Hat man nur die Allgemeingültigkeit der Thematik vor Augen, so könnte man jedoch enttäuscht werden. Auch wenn Lanoye Unschärfe vorgeworfen wird, ist der geschichtliche Hintergrund zu jeder Zeit präsent. Man sucht geradezu nach den konkreten Charakteren der Vergangenheit und vergisst die Bühne als Plattform der Allgemeingültigkeit.

    Andreas Nathusius in der Regie hat allerdings auf typische Zuweisungen verzichtet, bedient sich nicht bekannter, verkopfter Bilder, sondern entfremdet, wo immer möglich. Es ist eine Annäherung an das gewünschte Ziel, die Thematik ins Heute zu projizieren. Der Hintergrund bleibt. Zu bekannt sind die Figuren. Gründgens als Köpler wird ohne den Bezug zum Privaten manchmal oberflächlich, dann wieder intensiv und zerrissen dargestellt. Als Zuschauer betrachtet man diese Figur abwartend, beobachtend und kopfschüttelnd und verfährt beinahe ebenso mit den anderen Figuren. Ausnahme ist vielleicht "Der Dicke" (Jürgen Roth), der auch einmal gefährlich flüsternd auf der Bühne erscheint und in seiner Boshaftigkeit das, was das Publikum vom Stück trennt, auflöst. Hier wird das Machtgefüge aus den historischen Fängen befreit und tatsächlich allgemein gültig verstanden.

    Atmosphärisch dicht wirken die zahlreichen Einschübe. Passagen aus Dramen der Weltliteratur: Shakespeare, Goethe, Lessing, Tschechow. Atmosphärisch dicht deshalb, weil sie nicht nur im eigenen Rahmen als Spiegel die vorhergehenden Situation reflektieren, sondern auch, weil es beinahe immer wie die Flucht in einen geschützten Raum wirkt. Das mutet manchmal verwirrend an, hat aber auch einen eigenen Reiz.

    Es ist dieses schwer im Magen liegende Thema, das Abstand wahren lässt, auch zu den Schauspielern, obgleich die schauspielerische Leistung fantastisch war. Die Darstellung der Figuren nahe an sich heran zu lassen, hieße, sich selber infrage stellen zu müssen. Ein "Bravo", ein ausuferndes, donnerndes Jubeln mit dem Fallen des Vorhangs wäre dem Verlust der eigenen Integrität nahe gekommen. Der Aufruf am Ende zum totalen Krieg auf der Bühne, hielt das Publikum auf Abstand, ließ nicht mehr Nähe zu, als nötig. Distanz wahren. Sich nicht einnehmen lassen, auch nicht von einem Theaterstück in dem Sekunden zuvor das stotternde Elend Köpler gestanden und vor der eigenen Skrupellosigkeit machtlos kapitulieren musste.

    So blieb es bei minutenlangem Applaus für die beachtlichen, schauspielerischen Leistungen und die gelungene Inszenierung einer umstrittenen Fassung.

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