1. Brückenbauer, Türöffner und Wegbereiter

    Auf vielfältige Weise wird an den verstorbenen Prof. Dr. Richard Grathoff erinnert

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    Oerlinghausen (kd). Am heutigen Samstag wäre Prof. Dr. Richard Grathoff 80 Jahre alt geworden. Der frühere Lehrstuhlinhaber für Soziologie an der Universität Bielefeld ist im November 2013 verstorben. 35 Jahre lang hatte er in Oerlinghausen gelebt. Im St. Hedwigshaus erinnert man sich noch gut an den Weltkongress für Soziologie vor 20 Jahren. Richard Grathoff hatte bedeutende Wissenschaftler eingeladen, einige von ihnen wohnten und arbeiteten auch in der Oerlinghauser Heimvolkshochschule. Richard Grathoff, geboren am 30. August 1934 in Unna, sei fachlich wie menschlich eine besondere Persönlichkeit gewesen. Darin sind sich seine Witwe Ruth Grathoff und seine frühere Sekretärin Anne Klocke einig. Dr. Johannes Stefan Müller, der Leiter des St. Hedwigshauses, hatte beide eingeladen, um des Verstorbenen zu gedenken. Im Gespräch wurde er mehrfach als Brückenbauer, Türöffner und Wegbereiter bezeichnet. Nach dem Studium der Mathematik und Physik in Göttingen ging Grathoff in die USA. An der bedeutsamen New School for Social Research in New York hörte er Vorlesungen bei führenden Wissenschaftlern und erwarb den Doktortitel. Er lehrte an den Universitäten Frankfurt und Konstanz, war Professor in Toronto und seit 1978 in Bielefeld. Er veröffentlichte zahlreiche grundlegende Bücher und wurde in mehrere internationale wissenschaftliche Vereinigungen gewählt. Dank seiner vielfältigen Kontakte gelang es ihm, den 23. Internationalen Soziologenkongress mit 5.000 Teilnehmern nach Bielefeld zu holen. "Vom ersten Brief bis zum Beginn hat es acht Jahre gedauert", erinnerte sich Anne Klocke. "In der Fakultät war er immer der Antreiber." Auch seine Kollegen schätzten seine beharrliche Art, die schon an Sturheit grenzte. Denn Richard Grathoff hatte sich vorgenommen, Teilnehmer aus Ost und West zusammenzubringen. Schon in den achtziger Jahren knüpfte er Kontakte zu Kollegen in Polen und lud sie – unter Risiken

    nach Deutschland ein. Und selbst 1994 war es für Soziologen aus Russland und China noch schwierig, eine Reisegenehmigung für den Weltkongress zu erhalten. "Das war ein große Sache, denn die Mauer war ja erst vor fünf Jahren gefallen", erläuterte Ruth Grathoff. "Es war ein einziger Kampf, aber er hat sich für jeden einzelnen Teilnehmer eingesetzt", ergänzte Anne Klocke. Zwei Wochen lang waren zu jener Zeit 40 Nachwuchswissenschaftler im St. Hedwigshaus zu Gast. Auch den Vorstand der internationalen Soziologenvereinigung konnte Dr. Johannes Stefan Müller in seinem Haus empfangen. "Es war eine tolle sommerliche Atmosphäre mit Vorträgen und Diskussionen", erinnerte er sich. "Am meisten beeindruckt waren die Hochschullehrer jedoch von der Tatsache, dass der bedeutendste Soziologe, Max Weber, hier in Oerlinghausen gelebt hat." Ebenso wie Weber und Niklas Luhmann habe Richard Grathoff in Oerlinghausen gewirkt und eine internationale Ausstrahlung gehabt, meinte Dr. Müller.

    Gleichwohl habe Richard Grathoff auch eine ausgeprägte soziale Ader besessen. "Seine große Stärke war, dass er Menschen zusammengebracht hat. An der Uni hat er als erstes eine Teestunde eingeführt", berichtete Ruth Grathoff. In zwangloser Runde wurde dann diskutiert. Und auch Anne Klocke meinte: "Er war immer ansprechbar, wenn jemand Hilfe brauchte." In einer aktuellen bulgarischen Zeitschrift wird Richard Grathoff als "Brückenbauer zwischen Bulgarien, USA und Deutschland" gelobt. Und an der Universität Warschau wird "in Erinnerung an den herausragenden Soziologen" am 25. und 26. September ein wissenschaftliches Symposium abgehalten. Ruth Grathoff ist ebenfalls eingeladen. "Das ist eine große Ehre", sagte sie. "Ich werde gern nach Polen fahren."

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