Je näher das Turnier kam, umso größer wurde auch die Vorfreude. "Nach den durchaus erfolgreichen Turnieren 2006 und 2010 und dem tollen Spaßfußball, den unsere Elf in den folgenden Jahren spielte, war ich mir sicher, dass wir den Titel gewinnen können", sagt Strohschnieder, "leise Zweifel kamen mir dann erst im letzten Jahr, inbesondere nach dem 4:4 gegen Schweden in Berlin und dem Sieg der Brasilianer beim Confed-Cup." Diese Zweifel taten seiner Planung aber keinen Abbruch.
Am 7. Juli ging es über Frankfurt, Porto und den Atlantik schließlich nach Rio de Janeiro und, nach einigen Tagen der Stadtbesichtigung, weiter nach Recife. "Während der Vorrundenspiele wohnte ich im Fanquartier der deutschen Nationalmannschaft in Itamaracá, einer Halbinsel direkt am Atlantik", erzählt Strohschnieder. Er ist seit rund zehn Jahren Mitglied im offiziellen Fanclub des Teams. "Das Quartier war zwar sehr schön, die Organisation aber eine Katastrophe", sagt der Weitgereiste, "zu den ersten Partien sind wir mit einem Reisebus angereist, wobei ich die Entfernungen völlig unterschätzt hatte." Fahrt nach Salvador zum Spiel gegen Portugal: 18 Stunden. Nach Fortaleza zum Spiel gegen Ghana: 14 Stunden. Auch nach Recife dauerte die Anreise immerhin noch sechs Stunden. "Im Nachhinein muss man sagen, dass der Standort des Fanquartiers schlecht ausgewählt war, zumal man als Mitglied des Fanclubs – immerhin ins Leben gerufen vom DFB – erwarten kann, zumindest einmal in die Nähe des Teams zu kommen." Näher als auf der Tribüne im Stadion kam er ihnen aber nicht.
Nach diesen Erfahrungen "war für mich klar, dass ich mich dem nicht mehr anschließen würde, zumal ich auch noch einiges vom Land sehen wollte", sagt Strohschnieder. Diesen Wunsch erfüllte er sich später auf der Reise unter anderem an den Iguazú-Wasserfällen, "dem absoluten touristischen Höhepunkt, einem unglaublichen Schauspiel". Die enormen Entfernungen ließen ihn den Entschluss fassen, zu den weiteren Spielen der deutschen Mannschaft zu fliegen, und so ging es per Flugzeug nach Porto Alegre – Fußball-Liveübertragungen an Bord inklusive. "In Porto Alegre waren es gerade noch zehn Grad im Gegensatz zu 25, 30 Grad in Itamaracá, ein echter Schock. Außerdem regnete es ständig und die Stadt war nicht so schön, dazu dann auch noch das Grottenspiel gegen Algerien", berichtet der 65-Jährige. "Toll war allerdings die Fankarawane, die von mehr als 5000 Deutschen begleitet wurde, um mit lauter Musik ins Stadion zu ziehen." Danach ging kam es beim Spiel gegen Frankreich zum zweiten Besuch in Rio de Janeiro und von dort weiter nach Belo Horizonte.
Damit zurück zum Anfang des Textes: 7:1 gegen Brasilien, im Halbfinale der WM. "Wir haben unseren Augen nicht getraut, uns zwischendurch immer wieder ungläubig angesehen und einfach nur gejubelt. Unglaublich, was da abging", so Strohschnieder. In diesem Moment ging es ihm nicht anders als Millionen Deutschen an ihren Fernsehgeräten. "Danach passierte es dann aber. Die brasilianischen Fans sind über uns hergefallen", erzählt er weiter, "allerdings nur, um uns zu gratulieren, Fotos mit uns zu machen und am liebsten Trikots mit uns zu tauschen. Unglaublich, wie fair sie sich verhalten haben." Überhaupt habe er während der gesamten Reise keine schlechten oder gar bedrohlichen Erfahrungen gemacht: "Die Leute dort haben eine hervorragende Meinung von uns und bewundern Land und Leute."
Die absolute Krönung der Reise sollte allerdings beim dritten Besuch in Rio folgen: das Finale gegen Argentinien im Fußballtempel Maracanã. "In der 113. Minute das Traumtor von Mario Götze, danach gab es kein Halten mehr. Es waren unbeschreibliche Glücksgefühle. Ich war unglaublich aufgeregt, noch Stunden später im Hotel konnte ich nicht schlafen und habe mir das Spiel im Fernsehen noch einmal in voller Länge angesehen – immer noch befürchtend, dass die Argentinier vielleicht doch noch ein Tor schießen würden", beschreibt Strohschnieder seine Gefühle während und nach der Partie.
Von den argentinischen Fans dürfte ihm in diesem Moment höchstens einer leidgetan haben: "Francisco habe ich etwa drei Stunden vor dem Finale getroffen. Ich stand in Fanbekleidung an einem Bistro und bestellte mir einen Cappuccino, als er mich erblickte, begrüßte sich einen Espresso bestellte und darauf bestand, mich zu einem Getränk einzuladen. Eine Geste der Freundlichkeit eines Menschen, den ich sicherlich nie wieder sehen werde."
Aus sportlicher Sicht gab es auf der Reise fast nur Höhepunkte. Neben der Kritik an der Organisation des Fanclubs kommt aber auch die FIFA nicht gut weg. "Über die habe ich mich richtig geärgert", sagt Strohschnieder, "ich habe für die Vorrunde Karten der höchsten Kategorie 1 gegönnt, nicht gerade ein Schnäppchen. Beim Spiel gegen Portugal habe ich dann auf Höhe der Torauslinie gesessen, gegen Ghana noch etwa fünf Meter dahinter. Gegen die USA saß ich immerhin auf Höhe der Strafraumlinie – allerdings nicht überdacht und es regnete wie aus Eimern." Auch die starke Präsenz des Militärs und die Preispolitik der Hotels in Rio seien störend und ärgerlich gewesen.
Dennoch: "Ich glaube, dass jeder nachvollziehen kann, welch tolles Erlebnis diese Fahrt war. Es war einfach nur fantastisch, man könnte auch sagen: ‚Megasupergeil‘", resümiert Strohschnieder. Zur WM 2018 nach Russ-land werde er dennoch nicht fahren. Doch nach dem WM-Titel ist vor der Europameisterschaft. "2016 könnte ich mir vorstellen, ein Wohnmobil zu mieten und damit durch Frankreich zu fahren", sagt er. Die Planungen sind zwar noch vage – die Reise im Vergleich zu seinem Brasilien-Trip aber ein Spaziergang.
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