Detmold (vf). Mozarts Zauberflöte, komponiert in seinem Todesjahr 1791, hält unangefochten den Spitzenplatz aller Aufführungsstatistiken. Sie ist Oper und Mysterium zugleich. An ihr arbeiten sich immer wieder Regisseure und Dramaturgen ab: Ist sie "nur" eine zauberhafte Märchenoper, durchzogen vom Grundgedanken der Freimaurer, atmet sie reine Humanität oder ist sie doch gar ein psychologisches Drama um Gut und Böse, gar um die Beziehungsverhältnisse zwischen Mann und Frau?
Unterschiedliche Antworten und Lösungsansätze wurden angeboten. Bereits Legendenstatus hat dabei jene Inszenierung von August Everding an der Staatsoper Berlin (immer noch auf dem Spielplan) nach dem Bühnenbildentwurf des preußischen Baumeisters Karl Friedrich Schinkel (1816), heute berühmt als Architekt der klassizistischen Gebäude wie Stadtschloss oder Konzerthaus am Gendarmenmarkt in Berlin. Papageno im grünen Federkostüm, die Königin der Nacht unter Sternenkuppel schwebend auf einer Mondsichel sind Bilder, die mit dieser Oper eng verknüpft sind. Zeitbezogener ging es 2008 bei einer Inszenierung in der Berliner U-Bahn zu (Regie: Christoph Hagel), während der australische Regisseur Barrie Kosky 2013 die Handlung in der Stumm- und Zeichentrickwelt der 20er-Jahre verortete. Zahlreich sind die inszenatorischen Höhenflüge und Bruchlandungen.
Am Landestheater hat nun Hausregisseur der Hochschule für Musik Detmold, Thomas Mittmann, für die Studierenden der Opernschule eine fußball-WM-taugliche Inszenierung geschaffen. Mit Charme und einigen Slapstick-Einlagen greift sie den Umstand der parallel laufenden WM auf: Papageno findet als FC-Schalke-Fan seine Papagena – ebenfalls fußballbegeistert. Und in der ersten Halbzeit der Oper werden sogar die Spielstände der zeitgleich stattfindenden sportlichen Auseinandersetzung der deutschen Fußball-Elf als Schattenriss bekanntgegeben. Man könnte dem Regisseur banale Inszenierungsplattitüde vorwerfen, bliebe es dabei. Aber die Darstellung des Buffo-Paares ist für Mittmann nur eine Facette, um der Frage nach Menschlichkeit, Machtanspruch und zwischenmenschlicher Beziehung nachzugehen.
Unterstützung findet seine psychologisierende Herangehensweise in einem durch Reduktion bezaubernden Bühnenbild (Michael Engel). Die in Komplementärfarben kolorierten mobilen Bühnenwände schaffen für jede einzelne Szene neue Aktionsräume. In ihrer monochromen Farbigkeit erinnern sie an die De-Stijl-Gemälde eines Piet Mondrian. Die reduzierte Ausstattung ermöglicht dabei den freien Blick auf die jeweiligen Figuren und ihre interrelationären Bezüge untereinander. Zu den jeweiligen Solo-Arien gesellen sich Videoprojektionen. In diesen kontemplativen Momenten tauschen sich die Figuren mit sich selbst, ihrem Gefühlsleben oder -chaos und Lebensansichten aus. Dabei bilden die Videobilder, die an Orten in Detmold aufgenommen wurden, einen zusätzlichen Subtext. Gerade in diesen handlungserweiternden Assoziationsräumen liegt das Spannende der Inszenierung.
Musikalisch bewegte sich der Premierenabend ebenfalls auf einem erfreulich inspirierenden Niveau. Aus dem Graben unter der Stabführung von Ivan Törzs ein grundsolide aufgelegtes Hochschulorchester. Die hohen Streicher und insbesondere die Pauke mit einem präzisen Mozart-Ton. Alles in allem ein die Kollegen auf der Bühne verständnisvoll begleitendes Orchester, wobei mehr jugendliche Spritzigkeit in der musikalischen Umsetzung wünschenswert gewesen wäre.
Die vokale Premierenbesetzung musizierte sich ebenfalls erfreulich durch die schweren Partien der Mozart-Partitur. Allen voran Gun Young als Pamina mit einem sauber geführten, klaren Sopran und Myriam Anna Dewald als Königin, die ihren Koloratursopran durch die hoch anspruchsvollen Passagen der Partie führte. Als Gegenpart in den tieftönenden Regionen seiner Rolle sonor und dabei in der Tongebung nicht wabernd, Bartolomeo Stasch als Sarastro. Dazu fügte sich der wohltönende Tenor des Hyunbong Kil. Papageno verlieh Konstantin Ingenpass Stimme und vor allem darstellerisch eine enorme Bühnenpräsenz, die sich im zweiten Teil des Abends noch steigerte.
Lobend sollte auch der Chor erwähnt werden. Er kam ohne die sonst sogar in professionellen Theatern so häufig anzutreffenden Differenzen zwischen Graben und Bühne durch die Vorstellung. Am Ende siegte Deutschland 1:0, vor allem aber siegte die Opernschule mit einem durchweg erfreulichen Zauberflöten-Abend.