1. Für ein sicheres Zuhause seine Stimme geben

    Familie Mikaele droht die Abschiebung / Kirchengemeinde und Schule bitten die Bevölkerung um Unterstützung

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    STADTHAGEN (nb). Sie haben Schlimmes erlebt, doch richtig ankommen dürfen sie nicht. Merhawit Geremeskel Abadi hat mit ihren Kindern Feben, Meri, Betiel und Natnael nach drei Jahren Flucht aus Eritrea in Stadthagen ein vorläufiges Zuhause gefunden. Sie gehen zur Schule, besuchen Gottesdienste und haben Freunde gefunden. Doch nun sollen sie abgeschoben werden. Zurück nach Italien, wo sie in Lampedusa angekommen waren, von dort in ein Flüchtlingslager gebracht worden sind und von italienischen Grenzbeamten schwer misshandelt wurden.

    Um das zu verhindern, hat die katholische Kirchengemeinde Sankt Joseph eine Petition gestartet, die möglichst viele Menschen unterzeichnen sollen. Drei Jahre lang war die fünfköpfige Familie auf der Flucht. In Eritrea ist die politische Lage angespannt, der Grenzstreit mit dem benachbarten Äthiopien ist ungelöst, der Grenzkonflikt mit dem Nachbarland Dschibuti dauert ebenfalls an. Das Auswärtige Amt warnt Touristen davor, die Region zu bereisen. "Krieg" und "Anarchie" herrschten dort, sagt Merhawits Übersetzer, politische Verfolgung ist an der Tagesordnung. Das musste auch die Familie Mikaele erleben, als Ehemann und Vater Tsegai Mikaele, Soldat im Militärdienst, verhaftet wurde und vermutlich immer noch im Gefängnis sitzt. Kontakt nach außen ist Häftlingen nicht erlaubt. Auch Merhawit wurde zur Anhörung abgeholt und für einen Monat hinter Gittern festgehalten, ihre Kinder waren in dieser Zeit bei Angehörigen untergebracht. Nach ihrer Freilassung beschloss sie, mit ihren Kindern Richtung Europa zu flüchten. Durch Kontakte in Israel konnte sie das Geld zusammenbringen, um Schleuser für ihre Dienste und eine Ausreisegenehmigung zu bezahlen. 2011 machte sie sich erst auf den Weg in den Sudan, von dort führte die Reise mit dem LKW durch die Sahara weiter nach Libyen. Allein für diese Etappe waren 1500 Dollar fällig, die sie in ein Land führte, wo die Familie gleich wieder verhaftet werden sollte. Für zehn Tage wurden Mutter und Kinder getrennt voneinander festgesetzt, erhielten kein Essen, wurden geschlagen und misshandelt. Genaueres möchte Merhawit nicht erzählen. "Was ich erfahren habe war ganz schlimm, zu schreckliche Dinge, als dass ich darüber sprechen könnte", beschreibt sie ihre Erlebnisse. Und während sie erzählt, gewinnen immer wieder die Tränen Überhand. Auch eines ihrer Kinder schluchzt und nach und nach weinen alle. Von Libyen ging es mit einem alten Schiff weiter auf eine lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer, Richtung Lampedusa, auf der bereits so viele Flüchtlinge ums Leben gekommen sind. Ihr Schiff schaffte es zumindest bis nahe an die Küste, bevor es kaputtging. Doch mit ihrer Ankunft im EU-Land Italien war der Schrecken längst nicht zu Ende. Grenzbeamte brachten die Flüchtlinge in ein großes Lager nahe der italienischen Stadt Bassola, wo sie mit Handschellen gefesselt und angekettet wurden. "Ich hatte nur Angst und Panik, ein Albtraum", berichtet Merhawit. Sie wurde wie die anderen Flüchtlinge von den "Polizisten" geschlagen und misshandelt, ihre Kinder erzählen von Schlägen auf den Kopf und brechen bei jeder Erinnerung in Tränen aus. Erst nach dem gewaltsamen Abnehmen der Fingerabdrücke durften sie gehen und flüchteten mit einigen anderen in den Schutz der Kirche, wo die Familie einen Monat beherbergt und versorgt wurde. Mit der Hilfe von Unterhändlern und 300 Euro konnten die Mikaeles mit dem Zug nach Deutschland einreisen, erst nach Frankfurt, dann nach Gießen, wo sie einen Asylantrag stellten. Von den Behörden wurden sie nach Friedland geschickt, von dort nach Stadthagen, wo sie seit November vergangenen Jahres leben. Hilfe gab es dabei von der AWO, Sprachunterricht über das Bildungs- und Teilhabepaket. Als katholische Christen sind sie nun Teil der Kirchengemeinde Sankt Joseph, Meri, Betiel und Natnael besuchen die Schule am Stadtturm, Feben die Schule am Schlosspark, wo sie viele Kontakte geknüpft und sich voll integriert haben. Alle Kinder gehen gerne in die Schule, sind beim Lernen sehr eifrig und üben sogar zu Hause noch Deutsch, so dass sie nach nur wenigen Monaten dem Unterricht bereits folgen können und mit ihren Sprachkenntnissen überraschen. Isabelle Unger, Lehrerin an der Stadtturm-Schule, ist voll des Lobes: "Die Kinder waren gleich ganz aufgeschlossen und haben schnell Anschluss gefunden, machen motiviert mit. Wenn alle sich so toll beteiligen würden wie sie, wäre das schön." Dass die Familie nun weg soll, wo sie sich so toll integriert und eingelebt haben, ist für Unger und viele andere nicht vorstellbar. Erst nachdem der Brief mit der Abschiebung im Briefkasten lag, hat die Familie begonnen, wirklich von ihrem Schicksal zu berichten. Die alte Angst ist mit allen schlimmen Erinnerungen zurückgekehrt, vor allem vor Italien, wohin die Familie zurück soll, da sie dort erstmalig in Europa registriert worden ist und deswegen dort über ihr Aufenthaltsrecht entschieden werden soll. Die Kirchengemeinde, Pastoralreferent Stefan Hagenberg und Dechant Stephan Uchtmann setzen sich nun dafür ein, dass die Familie bleiben darf und ihr Asylantrag in Deutschland bearbeitet wird. Eine Anwältin ist beauftragt, hat einen Eilantrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und beim Verwaltungsgericht Klage gegen die Abschiebung eingereicht. "In Italien ist die Unterbringung nicht gesichert", sagt Grünen-Bundestagsmitglied Katja Keul, die die Kirchengemeinde um ihre Unterstützung in der Sache gebeten hat. Die Berichte von Gewalt seien kein Einzelfall bestätigt sie. Im Moment gingen die Abschiebungen nach Italien noch durch, es gibt noch keine Rechtsgrundlage für einen Abschiebeschutz, aber in einigen Fällen bereits entsprechende Urteile. Vor allem psychologisch ist es aus Sicht der Beteiligten nicht vertretbar, die Mikaeles dorthin zu schicken, wo sie schwer traumatisiert wurden. Ein entsprechendes Gutachten soll noch erstellt werden.

    Mit einer Petition wollen Kirchengemeinde und Stadtturm-Schule dem Anliegen Nachdruck verleihen und bitten daher um die Unterstützung möglichst vieler Menschen aus Stadthagen und dem übrigen Landkreis. "Es wäre schön, wenn wir bis zu den Ferien möglichst viele Unterschriften zusammenbekommen", sagt Hagenberg. Die Petition liegt in der Gemeinde an der Bahnhofstraße 3 aus, außerdem kann auf öffentlichen Veranstaltungen und während des nächsten Gottesdienstes unterzeichnet werden. Keul sagte ebenfalls ihre Unterstützung in der Sache zu. Geduldet ist die Familie nur noch bis Ende April und hofft nun auf Hilfe. "Hier haben wir keine Angst und fühlen uns wohl", sagt Meri.

    Foto: nb

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