1. In der Heimat wieder zuhause

    Charlotte Knobloch zu Gast im Ratsgymnasium / Im Dialog mit Schülern

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    STADTHAGEN (nb). Keine Hobbys, keine Haustiere, kein Heim. Was Charlotte Knobloch von ihrer Kindheit als Jüdin während des nationalsozialistischen Regimes erzählt, ist heute in Deutschland kaum vorstellbar. Aufmerksam und schweigend lauschten die Schüler in der dichtbesetzten Aula des Ratsgymnasiums den Worten der 80-Jährigen. Mit vier Jahren habe sie das erste Mal erfahren, dass es das Wort "Jude" gibt und gespürt, was es bedeutet ausgegrenzt zu werden. Doch statt den Schrecken in allen Einzelheiten auszumalen, konzentriert sie sich darauf, das Positive in ihrer Geschichte zu erzählen. Von den Menschen, die mutig waren und ihr und ihrem Vater das Überleben gesichert haben. "Wir haben immer Menschen gefunden, die uns geholfen haben", sagt sie, "Zivilcourage hat es damals schon gegeben". Etwa von einem anonymen Anrufer in der Reichskristallnacht und von einem SS-Mann, der Knoblochs Vater, den Anwalt Fritz Neuland, bei einer allgemeinen Razzia der Gestapo vor der Deportation geschützt hat. Als sie und ihre Großmutter auf Deportationslisten landen, wird die Familie erneut gewarnt und erhält so die Gelegenheit, zumindest das Kind aus der Schusslinie zu bringen. Eine Bedienstete der Familie erklärt sich bereit, sie als eigenes, uneheliches Kind auszugeben und verschwindet mit ihr in die katholische Provinz. "Die Menschen haben ihr Leben riskiert." Mehr hätten aus Knoblochs Sicht überleben können, wenn einige Länder ihre Tore für Flüchtlinge geöffnet hätten. Bei aller Erinnerung ist ihr Blick dennoch nach vorne gerichtet, zu den jungen Menschen, die ihr gegenüber sitzen. "Ihr seid die Zukunft", beendete Knoblochs ihre Erzählung mit einem eindringlichen Appell, "lasst euch niemals von jemandem sagen wen ihr zu lieben und wen ihr zu hassen habt". Dass die Schüler kritisch sind und sich eigene Gedanken machen, wurde im anschließenden Diskussionsteil auf dem Podium deutlich. Fünf Schüler hatten die Gelegenheit, zuvor erarbeitete Fragen zu stellen, die sich in einem Spektrum von biografisch bis politisch brisant bewegten. Knobloch beantwortete sie allesamt, ob als Vizepräsidentin des Jüdischen Weltkongresses, ehemalige Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland oder als persönlich betroffener Mensch. "Ich habe sie alle nicht mehr sehen wollen", beschreibt Knobloch ihre Zeit in Deutschland nach dem Holcaust. Sie habe lange Zeit mit gepackten Koffern dagesessen und sei letztendlich wegen Heirat und Kindern nicht ausgewandert. Heute fühlt sie sich wieder heimisch in Deutschland und erlebt "eine wunderbare Zeit des Zusammenlebens". Ausnahme bilden die Aktionen rechtsradikaler Gruppierungen, wie etwa der geplante Sprengstoff-Anschlag auf die Einweihungsfeier der Münchner Synagoge vor einigen Jahren. In diesem Zuge kritisiert sie die Haltung der Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die sich gegen das Abhören Terrorverdächtiger ausspricht. Eben dieses Vorgehen habe damals das Attentat verhindert. Polizeiliche Überwachungsaktionen und den Verfassungsschutz hält sie für unverzichtbar, ebenso wie ein klares Verbot der NPD. Wenig Verständnis hat Knobloch für die öffentliche Diskussion um die Beschneidung übrig. Religionsfreiheit ist im Grundgesetz verankert, die Beschneidung sei seit Jahrtauschenden ein Gesetz der jüdischen Religion. Sie habe nichts mit dem muslimischen Brauch zu tun, der nicht in der Kritik gestanden habe. Hinsichtlich des Staates Israel wurde Knobloch ebenfalls um ihre Einschätzung gebeten. Sie sehe dabei vor allem die Menschen, denen eine Auswanderung zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges nicht möglich war. Heute sei dank Israel gewiss, dass sie ihre Koffer packen und in ein freies, demokratisches Land gehen könnten. Es sei jedoch sehr notwendig für die ganze Welt, dass die Politiker des Nahen Ostens "ein Einsehen" hätten und sich am Runden Tisch zusammensetzten, um Frieden zu schließen. Beide Völker seien interessiert, dass dort Frieden herrsche. Den Schwerpunkt ihres künftigen Engagements sieht Knobloch im Dialog und der Verständigung. Die Gesellschaft sei bereits toleranter geworden, doch Toleranz erfordere Verständnis und beiderseitiges Händereichen. Für sie persönlich sei es wichtig, dass das Judentum eine Zukunft hat. Nicht Religion oder Hautfarbe seien entscheidend. Vielmehr sei es wichtig den Menschen zu sehen, mit dem man es zu tun hat. So sei es möglich ohne Unterschiede an einem Ziel zu arbeiten, um in Frieden und Freiheit zu leben. Ihr Glaube gebe ihr dabei Kraft. Ihren Besuch in Stadthagen schloss Knobloch in der "Alten Polizei" ab, Thema des Abends: "Angekommen? Jüdisches Leben in Deutschland, was heißt das heute".Foto: nb

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