1. Ein Versprechen, das Gertrud Rosenfeld nicht halten konnte

    Amerikaner Andrew Schindel erzählt Grundschülern von seiner jüdischen Familie

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    LANDKREIS (wa). Andrew Schindel ist ein warmherziger Mensch. Als er in der Grundschule vor einer vierten Klasse steht und von seinen Vorfahren erzählt, kämpft er immer wieder mit den Tränen. Für die Kinder eine komische Situation. Da der US-Amerikaner Schindel kaum Deutsch, nur Englisch spricht verstehen sie nicht alles haargenau. Eine Lehrerin muss übersetzen. "Weint der etwa?" fragt eine Schülerin ihre Sitznachbarin. Was Andrew Schindel fühlt, wenn er über seine durch Nazi-Hand getötete Familie spricht, können die Kinder zwar nicht hundertprozentig nachempfinden, dafür spüren sie aber die Kraft seiner Worte.

    "Inside every 80 year old is a ten year old" schreibt er auf den Flip-Chart, also in jedem 80-Jährigen steckt auch ein Zehnjähriger. Schindel erzählt von seinem Onkel Kurt Adolf Rosenfeld. Ein jüdischer Mann, der den Nationalsozialismus überlebte, weil ein Ehepaar aus England ihn aufnahm. Seinen Namen änderte er in Kenneth Rapley. Die Initialen K. R. blieben als letzter Rest seines Lebens als Deutscher mit jüdischen Wurzeln.

    Was Andrew Schindel nach all den Jahren noch bleibt, ist ein Foto. Ein Foto, auf denen seine Mutter Lotte, Onkel Kurt und Großmutter Getrud glücklich aussehen. Schindel schließt daraus, dass das Bild von seinem Großvater Hugo gemacht worden sein muss. Seine Mutter habe er stets als sehr ernste Person wahrgenommen, sagt Andrew Schindel.

    Auf der Suche nach weiteren Spuren seiner Familie landete er zunächst in Aachen. Dort besuchte der Amerikaner das Grab seines Großvaters Hugo Rosenfeld. Schindel war der Erste, der nach 70 Jahren zum ersten Mal dieses Grab gesehen hat. Gewundert hat er sich nur, dass hinter den Metallbuchstaben kleine Löcher zu sehen waren. Während Andrew Schindel davon erzählt, ringt er mit der Fassung. Die Nationalsozialisten hatten damals die metallenen Buchstaben vom Grab genommen, um daraus Bomben zu bauen. Sie wollten alle jüdischen Namen auslöschen.

    Nach dem Tod des Großvaters gingen die Rosenfelds nach Stadthagen. Lange Zeit bedeutete die Kreisstadt Heimat für Schindels Familie – auch wenn es oft schwer war, mit den Anfeindungen klar zu kommen. Einige alte Stadthäger erinnern sich noch heute an Kurt, Lotte und Gertrud. Die Familie Rosenfeld und die angeheirateten Wolfs besaßen am Marktplatz zwei Häuser. Sein Onkel hasste Schnee und Winter, sagt Schindel. Eine Frau aus Stadthagen konnte ihm erklären warum. Ein schlimmes Erlebnis: Die Kinder Lotte und Kurt spielten auf dem Schulhof, als sie von den anderen Kindern mit Schneebällen beworfen und aufgrund ihrer jüdischen Herkunft beschimpft wurden. Drei Jungen wollten Kurt sogar eine Treppe hinunterschubsen. An die Namen der Täter kann sich die Frau bis heute erinnern, erzählt Schindel. 1938 gingen die Rosenfelds nach Berlin. Nach der Reichskristallnacht war Deutschland für sie kein Zuhause mehr. Großmutter Gertrud schickte die damals 16-jährige Lotte zusammen mit ihrem Cousin auf einem Schiff nach England. Schindels Mutter machte eine Ausbildung zur Krankenschwester und wanderte nach Amerika aus. Auch Onkel Kurt konnte zwei Wochen vor dem Zweiten Weltkrieg Deutschland verlassen.

    Kurt sei immer sehr emotional geworden, wenn es um England und seine Adoptivfamilie ging, sagt Schindel. Dann habe man den zehnjährigen Jungen in ihm wiedererkannt. Den kleinen Jungen mit dem gebrochenen Herzen, weil seine Mutter ihr Versprechen auf ein Wiedersehen nicht halten konnte. Gertrud Wolf Rosenfeld wurde aus Berlin deportiert und in Polen umgebracht. Foto: wa

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