1. Die freundlichsten Menschen der Welt erschießen sich nur selbst

    Nordirland-Experte und Journalist Frank Patalong berichtet im Stiftssaal über den Konflikt

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    Schon sehr früh spürte der gebürtige Walsumer den Nordirlandkonflikt am eigenen Leib. Sechs Körperdurchsuchungen in einer Stunde, bei einem Bummel durch ein nord-

    irisches Einkaufszentrum: "Jugendliche waren immer die typischen Terroristen", sagt Patalong. Es sei eine Art Kontrolle gewesen, wie am Flughafen, nur eben im Alltag. Mit 17 Jahren bereiste er das erste Mal mit einer Jugendgruppe die Insel. "Wir sollten damals als Puffer zwischen katholischen und protestantischen Jugendlichen agieren", sagt Patalong. Was fälschlicherweise oft behauptet wird: "Bei dem Konflikt geht es überhaupt nicht um Glauben", so der Journalist. Auch seien besonders die Katholiken weltoffen gewesen. Die Protestanten hingegen sturz-konservativ und rechts eingestellt.

    Die Wurzeln des Terrors greifen bis ins 17. Jahrhundert. Es geht um Macht und Identität. Der Hass aufeinander begann mit der europäischen Kartoffelfäule, die Millionen Todesopfer forderte. Viele Iren flohen damals auch in die USA, unter anderem die Familie Kennedy. Die Iren seien die freundlichsten Menschen der Welt, sie erschießen sich nur gegenseitig, habe John F. Kennedy einmal gesagt, so Patalong. "Man wusste nie, was passiert und lebte mit ständiger Alltagsunterbrechung", sagt Patalong. Jederzeit konnte irgendwo ein Alarm ausgelöst werden oder eine Bombe hochgehen. So auch 1984 in Boxside/Brandyville. Katholische Kinder haben damals Barrikaden aufgebaut, berichtet der Experte. Im Vorfeld hatte ihm ein Bekannter den Tipp gegeben, dass an besagtem Tag wieder etwas passieren würde. Als die Bombe hochging, nur hundert Meter von der Kneipe entfernt in der Patalong auf sein Fotomotiv wartete, war schon ein amerikanisches Fernsehteam vor Ort. "Das konnte kein Zufall gewesen sein", so Patalong.

    V-förmig habe die Polizei die Passanten eingekesselt und ein Feuer aus Plastikpistolen eröffnet. "Irgendjemand hatte nicht bezahlt", berichtet der Journalist. Um Schutzgeld sei es gegangen. Mafiöse Zustände. Wenn auf den Straßen die Hölle los war, habe Patalong so viel Angst gehabt, dass er sich einfach an die Wand gedrückt habe. Trotzdem ist er immer wieder hingefahren. "Man lernt trockenes Gewehrknallen und den Knall einer Bombe zu unterscheiden", sagt der Niederrheiner. Eines nachts habe man ihn und seinen Schwager sogar halb totgeschlagen. Zu bestimmten Uhrzeiten durfte der Boden verfeindeter Gruppen nicht betreten werden. Die Bürgersteige wurden extra farblich für Katholiken und Protestanten gekennzeichnet. Für Deutsche ist das Gewaltlevel der Jugendlichen in Nordirland erschreckend", sagt Patalong. Viele seien rechtsgebürstet wie Nazis.

    Doch: Als Ausländer sei es "völlig bescheuert eine Seite zu beziehen".

    Im Grunde genommen wüssten viele Nordiren selbst nicht, warum es immer wieder zu Unruhen kommt.

    Zwar gibt es heute einen Friedensvertrag, doch auch der sei brüchig. Es gehe um zwei Ethnien mit unterschiedlichem Selbstverständnis, so der Experte.

    Und die größte Frage, die Patalong seit jeher beschäftige, sei: Wie kommt eine Gesellschaft dorthin? "Oft sind die Dinge nicht so klar wie sie erscheinen." Also irgendwie doch investigativ. Foto: wa

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