LAUENAU (al). Ein fast vergessenes Kapitel Völkerwanderung ist auf 120 Seiten in großem Format aufgearbeitet worden. Im 19. Jahrhundert suchten Menschen scharenweise ihr Heil in der Neuen Welt. Zu Hause im Deister-Sünteltal lebten sie in bitterer Armut, ohne berufliche Perspektiven oder geschunden durch Missernten. Jetzt wagten sie sich an ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Etliche dieser Schicksale hat der Historiker Kai Witthinrich nachgezeichnet. Soeben ist sein Buch mit dem Titel "Ausgewandert – Geschichten aus der Alten und der Neuen Welt" erschienen. "Flucht vor dem Hunger" nennt der Autor das Beispiel des Pohler Leinewebers Christian Buchmeier. Mit fünf weiteren Männern begab er sich im April 1846 in Bremen auf das Segelschiff "Diana" mit Ziel New York. Buchmeier sollte ein erfolgreicher Farmer werden und seinen Nachfahren ein ansehnliches Erbe hinterlassen. Ähnliches widerfuhr dem Feggendorfer Kutscher Johann Diersen, der mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern auswanderte. Eine ganze Reisegruppe bildete sich in Messenkamp mit Großköthner Johann Friedrich Grupe, dessen Ehefrau, sieben Kindern und weiteren Verwandten. Ebenfalls 1862 stammten von 132 Passagieren auf dem Segelschiff "Marie" allein 52 Personen unter anderem aus Lauenau, Pohle und Messenkamp. Das "Lese- und Arbeitsbuch", wie Witthinrich selbst sein Werk genannt hat, liest sich in der Tat gleichermaßen spannend wie aufschlussreich. So ist zu erfahren, dass anhand der Einwohnerzahl des Jahres 1848 Messenkamp die größte Auswandererquote mit 25,2 Prozent über den gesamten Untersuchungszeitraum von 1834 bis 1894 besitzt, gefolgt von Schmarrie (22,3 Prozent), Pohle (8,4 Prozent)und Hülsede (16,3 Prozent). Dass die im nördlichen Talbereich gelegenen Orte besonders betroffen waren, führt der Autor auch auf die politische Randlage zurück: Gleich dahinter befand sich mit der unter hessischer Herrschaft liegenden Grafschaft Schaumburg das Ausland. Als Witthinrich mit seiner Untersuchung begann, lag ihm nur die Akte eines Auswanderers aus Bad Münder vor. Binnen eines Jahres sammelte er aus verschiedenen Quellen eine Liste von 750 Namen: Für viele von ihnen konnte er nach eigenen Angaben "anrührende oder auch erschreckende Geschichten" ermitteln. Das Buch aber beschränkt sich nicht nur auf jene Welle im 19. Jahrhundert. Es widmet sich auch späteren Aussiedlungen bis hin zur Flucht der Juden aus Nazi-Deutschland. Eine wichtige Fundgrube für hiesige Familien dürfte zudem die 20 Seiten umfassende Liste sein: Etliche Familiennamen von Auswanderern sind heute noch in den hiesigen Dörfern vertreten. Momentan ist der Band "Ausgewandert" nur im Lauenauer Museum im Rahmen der gleichnamigen Sonderausstellung für 16,90 Euro erhältlich. Dass das fundierte und mit vielen Illustrationen ergänzte Werk so preisgünstig ist, liegt an der finanziellen Unterstützung des Projekts. Zuschüsse kamen von der Schaumburger Landschaft, dem Landschaftsverband Hameln-Pyrmont, der Stiftung Hameln-Pyrmont der Sparkasse Weserbergland, dem Heimatbund Niedersachsen und der Stadt Bad Münder. Foto: al
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Aus der Alten und der Neuen Welt
Buch über Schicksale von Auswanderern aus dem Deister-Sünteltal von Kai Witthinrich
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