LANDKREIS (wa). Der Mensch ist schon immer gut darin gewesen, sich Liebe zu erkaufen: Die Ehefrau kriegt von ihrem Mann einen Blumenstrauß, weil er oft so spät nach Hause kommt. Der Sohn ein sündhaft teures Geschenk, weil die Eltern nie Zeit für ihn haben. Das beruhigt das Gewissen. Auch bei seinem Hund ist der Mensch der Meinung, mit besonders viel Leckerchen und Zuneigung einen aufmerksamen Freund zu bekommen. Die Gesellschaft, damit ist hier eine große Anzahl an sogenannten Hundetrainern und Hundefachleuten gemeint, suggeriert es so. Denn wenn man ehrlich ist, was wäre denn, wenn alle Menschen auf der Welt mit ihrem Vierbeiner ohne "delikate Fleischbrocken mit Pfiff" und Zughalsbändern auskommen würden? Die Industrie würde wirtschaftlich hohe Verluste machen. Alle sogenannten Hundeschulen und –trainer, die derzeit wie Pilze aus dem Boden schießen wären nutzlos. Doch die Flut an Ratgebern in Form von Büchern, DVDs, Internetseiten und natürlich selbsternannten Experten in Sachen Hundeerziehung ist groß. Man liest und hört irgendwo etwas und meint, es funktioniert – denn wenn alle das so machen, kann es nur richtig sein.
Viele gut erzogene Hunde, also die gut konditioniert und mit positiver Bestärkung trainiert worden sind, sind wahre Talente. Können Männchen und Rolle machen, Pfote geben und gehen bei Fuß. Sie kommen sogar wenn ihr Besitzer sie ruft. Zumindest dann, wenn gerade nichts Spannenderes im Weg ist. Beispielsweise ein Reh, ein Artgenosse oder Oma Hedwig die immer ein paar Leckerlies in der Tasche hat. Viele Menschen verzweifeln und wissen nicht mehr weiter. Zuhause ist der Vierbeiner eigentlich immer so brav und macht alles für seinen Menschen. Doch der Teufel steckt wie häufig im Detail. Wie Hundebesitzer diesen kleinen Störenfried austreiben können, dazu kann Anita Balser aus Usingen im Hochtaunus viele Anregungen geben. Sie hat kürzlich mit ihrem Team (Linda Sikorski und Thomas Juhe) ein Seminar unter dem Titel "Das Wissen" für 16 Hundehalter in Obernkirchen gehalten. Organisiert wurde die Veranstaltung von Rosalie Stegemann (Hundeschule Harmonia).
In "Das Wissen" beschreibt Balser keine Methode um irgendwelche Fehler auszubügeln, zum Beispiel an der Leine ziehen oder Jogger anpöbeln. Sie zeigt dem Hundebesitzer wie er durch seine Ausstrahlung und seinem Handlungswillen einen Freund an seiner Seite bekommt, der sich führen lässt. Spätestens jetzt schreien an dieser Stelle Verfechter der positiven Bestärkung auf. Führung – das kommt gleich nach Rudelführer. Und das möchten die wenigsten für ihren Hund sein. Das hört sich nach Feldwebel an. Was aber ist, wenn genau das der geliebte Freund zum glücklich sein braucht? Einen Führer, der ihm in der mitunter lebensgefährlichen Menschenwelt (Autos, Jäger, Giftköder etc.) zeigt, was er nicht tun darf. Vom Anspringen anderer Spaziergänger und Verbellen von Artgenossen mal abgesehen. "Wer mit seinem Hund vollkommen zufrieden ist, der soll um Gottes Willen nichts daran ändert", sagt Anita Balser gleich zu Beginn des Seminares. Wenn es allerdings Probleme in der Mensch-Hund-Beziehung gibt, sollte man überlegen, ob alles wirklich so läuft wie es sollte. Für die meisten Menschen schwer zu verstehen, wenn sie die Worte von Balser das erste Mal hören ist, dass sie keine Anleitungen zum Beseitigen von Problemen gibt. Unarten kann der Hundebesitzer nicht nachträglich irgendwie ausbügeln, sondern muss ganz am Anfang beginnen.
Und das heißt zu allererst einen gelassenen Hund zu bekommen – in jeder Lebenslage. Dann erledigen sich alle vorherigen Schwierigkeiten ganz von selbst. Bei Balsers HundeTeamschule geht es vor allem um das Verständnis des Halters für seinen Hund. Im alltäglichen Leben können Kommandos und ständiges Leckerlie füttern Gift für die Beziehung sein. Gibt man dem Hund das Kommando "Platz" und möchte, dass er lange Zeit an einer bestimmten Stelle liegen bleibt, befindet sich der Vierbeiner in einer ständigen Erwartungshaltung. Er wartet auf ein sogenanntes Abbruchkommando und kann sich nicht richtig entspannen. Wohlmöglich steht er nach kurzer Zeit von selbst auf, weil er die Anspannung nicht mehr kompensieren kann. Sein Besitzer wird natürlich sauer und beginnt das Spielchen von vorn. Die andere Variante ist das Kommando immer nur mit Leckerchen in der Hand zu verlangen. Der Hund verbindet das Wort, oder das Handzeichen mit der Belohnung – hat man sie nicht griffbereit tut er nicht was man verlangt hat. Der Mensch geht schließlich auch nicht arbeiten, wenn er nichts dafür bekommt. Und nein, ein Hund kennt kein Ehrenamt.
Ein weiterer Punkt von Balser: Sie spricht nicht von Erziehung, sondern Beziehung. Auch das beliebte Wort "Bindung" gibt es bei ihr nicht. "Viele Hundehalter sind am Boden zerstört wenn ihnen ein Trainer sagt er habe keine Bindung zu seinem Hund. Ich wäre das auch", sagt Anita Balser. Sie stellt sofort klar, dass jeder bereits eine Bindung zu seinem Hund hat, wenn dieser an seinem Leben teilhaben darf. Zu Beginn ihres Seminares erklärt Balser zunächst wie Hunde miteinander umgehen. Das erste was ein Tier in der Rudelführerposition seinem gegenüber beibringt, ist die Bewegungseinschränkung. "Du darfst zwar meine Luft atmen, aber sonst gar nix", so Balser. Damit ist die erste Position geklärt. Akzeptiert dies der "neue" Hund, hat er nahezu Narrenfreiheit – so lange er sich ruhig bewegt und keine Aufregung ins Rudel bringt. Fatal sei es, so Balser, bereits bei der Ankunft des neuen Hundes, ihm alles zu erlauben. Frei nach dem Motto: Nimm, es ist alles deins. Das falle zwar unter den Begriff Zuneigung – ist es im Grunde aber nicht sondern zeigt dem Hund nur: "Ich habe hier nichts im Griff, entscheide du, ich habe Angst." Und schon hat man einen ständig unruhigen, wohlmöglich überall pöbelnden Vierbeiner an seiner Seite. Den Typ Hund den eigentlich niemand möchte – und es ihm dabei selbst so auferlegt hat. In diesem Fall hat der Hund eine in seinen Augen höchstwichtige Aufgabe: Sein Rudel, also seinen Menschen in jeder Situation zu beschützen. Da es jedoch nur wenige Hunde gibt, die Rudelführerqualitäten besitzen, sind die meisten schlichtweg mit ihrer Rolle überfordert. Das sind genau die augenscheinlich "aggressiven" Hunde die als unerzogen gelten - dem Menschen sprichwörtlich auf der Nase herum tanzen. Merke: Das Problem ist nicht der Hund – der richtig handelt und seinen Menschen schützen will, sondern der Hundebesitzer der seinem Tier nicht zeigt, dass er handelt wie ein Rudelführer. Als weitere zwei Schritte kommt die gemeinsame Bewegung und dann erst die Zuneigung.
"Wenn man das verstanden hat, sind manche Probleme von heute auf morgen einfach weg", erklärt Balser. Dazu gehört aber weit mehr, als nur bestimmt (nonverbal) und richtig (zum passenden Zeitpunkt) zu handeln. Die innere Einstellung des Hundebesitzers ist der Schlüssel zum Erfolg. So lange der Mensch sich seiner Aufgabe und seinem Tun nicht bewusst ist, wird sein Hund ihm die Rudelführerrolle nicht abkaufen. Auch die überall angepriesene Konsequenz gibt es bei Balser nicht. "Konsequent sind im Hunderudel nur Schnösel, die nichts auf dem Kasten haben", sagt sie. Wichtig sei es, beharrlich in einer bestimmten Situation zu bleiben. "Der Hund darf heute aufs Sofa und mit mir kuscheln, morgen aber nicht, da kommt Besuch." Kein Problem für Hund und Halter, wenn die Fronten geklärt sind.
Balser und ihrem Team geht es nicht darum die Hundebesitzer-Welt zu revolutionieren. Sie möchten den Menschen helfen, ihre Tiere besser zu verstehen und am Ende harmonisch durchs Leben zu gehen – gänzlich ohne Leckerlies, Zwangsmittel oder die hundertste Stunde in der Hundeschule die irgendwie doch nichts bringt. Nur Menschen die sich unwohl im Zusammenleben mit ihrem Hund fühlen oder an irgendeiner Stelle nicht mehr weiter wissen, sei die Art der Rudelführung ans Herz gelegt. Wo Fachbücher, Experten und Hilfsmittel scheitern, sollte sich der Mensch auf seine Wurzeln – auf seinen Instinkt berufen. Der Hund macht es genauso. Und wer schon mal einen Obdachlosen mit Leckerlies, Clicker oder Würgehalsband in der Hand gesehen hat, möge den ersten Stein werfen. Foto: wa