STADTHAGEN (ag). Die 26. Niedersächsischen Musiktage sind der Freiheit gewidmet. Thematisiert wurde im September politische und persönliche Freiheit, die Freiheit der Natur und der Musik, sowie am Mittwoch, dem 12. September in der St. Martini Kirche Stadthagen, auch die Nicht-Freiheit. Die zwölf Sänger und zwei Tänzer setzten Carlo Gesualdos Vokalwerke so beeindruckend in Gesang und leidenschaftlichen Bewegungen um, dass der Applaus des Publikums noch Minuten nach Ende des Auftrittes nicht abklingt.
In einem kurzen Vorwort, in dem die Komponisten des folgenden Programmes, Alonso Lobo, Josqin Desprez und natürlich Don Carlo Gesualdo, dessen Stücke den Hauptteil des Konzertes ausmachen, vorgestellt wurden, wurde noch der Bürgermeister der Stadt Stadthagen, Bernd Hellmann und der Sparkassenvorstand Schaumburg Hans-Heinrich Hahne begrüßt, die sich dieses Highlight der Konzertreihe der Musiktage nicht entgehen lassen wollten. Dann ging in der St. Martini Kirche um 19.30 Uhr das Licht aus.
Nur die Dämmerung dringt noch durch die bunten Kirchenfenster, ansonsten ist alles dunkel. Eine gespannte Stille breitet sich aus, bis schließlich die Musik einsetzt - die Bühne noch immer leer. Die Atmosphäre in der dunkeln Kirche, die nur durch die christlichen Fenster etwas erleuchtet ist, wirkt spannend, spirituell und tiefgründig. Der Auftakt mit Alonso Lobos "Libera me" geschieht komplett ohne Licht, ohne Tänzer und auch die Sänger sind nicht zu sehen. Nur die fließende Musik ist im Inneren der Kirche zu hören. Das Publikum ist schon jetzt ergriffen, viele haben sogar die Augen geschlossen, um die sanften Klänge der vielstimmigen Musik zu genießen. Die Sprache des Gesanges werden wohl die wenigsten detailliert verstehen können, und doch ist die Bedeutung des Liedes für jeden, der sich darauf einlässt, nachzuvollziehen. Die großartige Akkustik der Kirche wird deutlich, als die Sänger vom hinteren Ende der Kirche zwischen den voll besetzten Bänken auf die Bühne im Altarraum schreiten. Die Kirche war erfüllt von der Musik, obwohl die Sänger sich im hinteren Teil verbargen. Gegen Ende des Stückes gibt es endlich ein sanftes Licht und als viele die Augen öffnen, gehen die Sänger an ihnen vorbei auf die Bühne, noch immer singend. Die zwölf Sänger des Vocalconsort Berlin, Cécile Kempenaers, Inga Schneider, Edzard Burchards, Kaspar Kröner, Christian Mücke, Florian Schmitt, Stephan Gähler, Florian Feth, Dan Martin, Clemens Heidrich, Christoph Drescher, Thomas Heiß, sowie der musikalische Leiter James Wood, sind komplett in schwarz gekleidet. Hinter ihnen läuft die Tänzerin Melania Olcina, den Kopf gebeugt, in einem beigen Kleid auf die Bühne und bleibt in der Mitte stehen, während sich die Sänger am hinteren Ende positionieren. Wieder setzt Stille ein. Die Tänzerin beginnt mit einem Ausdruckstanz, der zum einen demütig, und zum anderen erkennend wirkt. Der zweite Tänzer, Antonío Ruz, betritt die Bühne, während das zweite Stück beginnt. Er versucht sie zu befreien, stütz sie, betrachtet sie, versucht sie zu fangen und nimmt ihre Bewegungen auf. Gemeinsam scheinen sie sich zu lösen, sein Blick immer auf ihr. Die beiden Tänzer kommen aus der Compagnie der Star-Choreografin Sasha Waltz. Die eigens für das Konzert eingerichtete Lichtinstallation wird von Andreas Harder bedient. Die intensive Musik bringt die Reue und die Schuldgefühle von Carlo Gesualdo zum Ausdruck, der in der Musik um Erlösung fleht. Die Tänzer setzen durch ihren ausdrucksstarken Tanz das um, was der Komponist vor hunderten von Jahren gespürt hat. Die beiden Tänzer kämpfen um ihre Erlösung. Teilweise erinnern einige Szenen an Selbstgeißelung und beide fallen wiederholt hart auf den Boden auf. Sie stehen jedoch immer wieder auf und ihr Kampf beginnt von neuem. Auch hierin lässt sich eine implizierte Botschaft verstehen. Über all dem schweben die großartigen Stimmen der Sänger. Die Bewegungen fließen mit dem Auf und Ab der Musik, während Melania Olcina und Antonío Ruz die Gefühle Leidender und jenes Gefühl derer zum Ausdruck bringen, die göttliches Erbarmen suchen. Das Licht draussen ist inzwischen erloschen und auch die Fenster sind nicht mehr erleuchtet. Auch das trägt zur Atmosphäre in der Kirche bei. In einer ruhigen Minute sprechen sie Gebete im Einklang, immer noch Erlösung suchend. Schließlich erlöst Melania Olcina ihn aus der Selbstgeißelung, fängt ihn in ihren Armen. Nun ist er es, der geborgen, gestützt und aufgefangen wird. Gegen Ende des Stückes halten sie sich nur noch gegenseitig in den Armen. Haben sie Erlösung im jeweils anderen gefunden, durch jemanden der einen versteht und akzeptiert? Oder ist es nur ein Trost im Kampf um Erlösung nicht alleine zu sein? Der Ausdruckstanz und die Wahrnehmung eines solchen Konzertes sind immer individuell zu interpretieren. Einig sind sich aber alle: das Konzert ist ein Highlight in den 65 Konzerten der Niedersächsischen Musiktage.
Am Ende des Konzertes setzt erneut eine kurze Stille ein, bis diese mit dem tosenden Applaus des Publikums gefüllt wird. Foto: ag