STADTHAGEN (jl). Die Schlagzeile hatte er vorhergesehen, sie sogar angeregt. Und sie passt. Sie beschreibt einen Abend, der vor allem mit spontaner Offenheit und gnadenloser Ironie bestach. Kabarettist Florian Schroeder gastierte in der Alten Polizei und bewies, dass seine Show "Offen für alles und nicht ganz dicht" nicht nur von komödiantischem Talent zeugt, sondern seine Bühnenauftritte einzigartig sind.
Sein Programm kann jeder auf CD hören oder als Buch lesen – es ist immer dasselbe. Die Liveshow hingegen ist die gleiche, die hier und da schon mal aus dem Rahmen fällt und zum unvergesslichen Ereignis wird. Warum die Veranstaltung, die zunächst in der Aula des Ratsgymnasiums geplant war, im Stadthäger Kulturzentrum stattfand, erklärte Schroeder höchstpersönlich und höchstironisch: "Ich freue mich in der Alten Polizei zu sein, das war mein Wunsch." Hätte es nicht dort stattgefunden, wäre er nicht gekommen. Er ertrage einfach keine Menschenmasse. "Ich habe die Leute angerufen und persönlich ausgeladen", sagt er schmunzelnd. Nur diejenigen, die sich partout nicht davon abbringen lassen wollten, seien zu einer "intimen, exklusiven Runde" zusammengekommen.
Schroeder, Jahrgang 1979, analysierte das Leben seiner Generation, ein Leben zwischen Analogistan und Digitalien, zwischen Wählscheibe und Smartphone. "Ich möchte zur Völkerverständigung zwischen Alt und Jung beitragen." Er selbst sei ein Aufschieber, der bis mittags im Internet verweile. Er sei überall und nirgendwo, so dass er sich die Frage stelle: "Surfe ich oder ist es der Versuch sich über Wasser zu halten im Meer der Möglichkeiten?" Er sprach von After-Work-Partys und Lounges, von "Schawatten"-Trägern (ein Schal, der zu einer Krawatte gewickelt ist), die Aperol Spritz trinken und nicht mehr Ja oder Nein, sondern Jein sagen. Ob Philipp Rösler und sein "Gladiatorenkampf" bei Markus Lanz, Kristina Schröder, die "ihr Unwesen im Familienministerium treibt" oder Bundeskanzelerin Angela Merkel alias "Jein-Sagerin" – an dem Schnellsprecher kam kein Politiker ungeschoren vorbei.
In Stadthagen verschonte er selbst die Presse nicht, wohlwissend, dass er als "eitler Mann" natürlich eine "super Kritik" erwarte. Die schreibende Zunft, "aufgereiht wie die Hühner auf der Stange", erst einmal entdeckt, gab es kein Zurückhalten mehr. Er sei froh über jeden Journalisten, der bis nach der Pause bleibe. Die meisten würden abhauen, weil sie sich noch mit Whiskey zuschütten müssten, um die Redaktionskonferenz am nächsten Tag irgendwie zu überstehen. Er warb ausschweifend für die beiden hiesigen Zeitungen, die er selbstredend kenne und abonniert hätte beziehungsweise geliefert bekäme, die sich mit "Metaphern, die der Wolf gefressen hat" brüsten könnten. Die Süddeutsche und FAZ könnten einpacken, lautete sein knallhartes Fazit. Er schweifte ab in die Sphären des Lokaljournalismus, um nach gefühlten Stunden zurück zum Thema, zum Silbermond-Quiz, zu finden.
Das Publikum musste erraten, ob die vorgelesenen Zitate aus Texten der deutschsprachigen Band stammen. Zu gewinnen gab es einen Espresso, der sich für einen Zuschauer als eine Tasse heißes Wasser entpuppte. Der Außendienstler wusste (leider) die richtige Antwort und musste auf die Bühne kommen. Was er wohl nicht wollte, dass er selbst für wenige Minuten zum Kabarettisten wurde. Aus einem normalen Satz ("Ich kenne ihn nur von hinten."), der auf seinen Vordermann im Publikum bezogen war, der zuvor zum Aperol Spritz-Trinker mutierte, entpuppte sich ein Wortwitz, der den Saal zum Beben brachte. Der Kabarettist, der das Spontane zu lieben scheint, nutzte die Situation aus: Er posierte für das passende Bild, nannte seinen Publikumsgast liebevoll "kleine Aluminium-Sau" und zitierte bereits die Schlagzeile: "Wer nimmt hier wen von hinten?" Foto: jl