1. Das Rössl hat sich angepasst

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    LANDKREIS. Als am 8. November 1930 im Großen Schauspielhaus in Berlin das Singspiel "Im weißen Rößl" uraufgeführt wurde, schrieb man das Rössl noch mit "ß". Nun, man hat sich angepasst. Die neue Rechtschreibung greift auch hier. Es greift aber noch mehr: Es greift das Unternehmen, 80 Jahre Geschichte vergessen zu machen und ein "Rössl" zuliefern, das von morgendlichem Tau geradezu glänzt. Natürlich liegt über allem die Patina der Nostalgie. Aber das war auch schon vor achtzig Jahren voll und ganz mit eingeplant. Und wer hat denn nicht schon immer den verklärten Blick zurück in die ach so besonnte, gute alte Zeit gemocht?!

    Hier also wurde sie denn wieder geweckt. Angerückt war das Nordharzer Städtebundtheater mit einem beachtlichen Aufmarsch von Akteuren. Dreizehn wurden mit Namen genannt, vier weitere Namen waren dem Chor zugeordnet, dann rangierte noch die "Statisterie", ein Begriff, der missfallen dürfte, war doch die gesamte Garde eine so bündige Einheit, dass diese Differenzierung sich erübrigte, wenn auch die tragenden Stimmen durchaus herauszuhören waren. Sie rissen alles mit, und was musikalisch brillierte, wurde unverzüglich eingebunden in schwungvolle Tänze, deren Choreographie auf höchst akkurate Einstudierung schließen ließ. Regie führte wieder mal eine Frau, Rosmarie Vogtenhuber. Das bürgt fast immer für Qualität, die natürlich umso schwerer zu erzeugen ist, je vordergründiger, ja läppischer der Inhalt ist. Fangen wir beim Fazit an: Am Ende kriegen sie sich alle; drei Paare liegen je einander i n den Armen, allen voran natürlich Leopold, der "Zahlkellner", der schließlich und endlich doch bei seiner Chefin zwar entlassen wird als Zahlkellner, "aber engagiert auf Lebensdauer als Ehemann. Prächtig singen und spielen sie sich durch den Abend, zerfließend in Liebe, bei der es etwas Wunderbares sein muss, "von dir geliebt zu werden", dann aber auch heftig aufbegehrend, wenn das Weib stur bleibt oder gar zu einem anderen hinüberschielt, zu Dr. Otto ,Siedler beispielsweise, der sich erst windungsreich davon überzeugen lassen muss, dass "am Wolfgangsee das Glück vor der Tür steht", allerdings nicht bei der Frau Wirtin, sondern bei der Tochter des Fabrikanten Wilhelm Giesecke, einer Berliner Schnauze, wie sie im Buch steht: ruppig, anmaßend, selbstherrlich, wie die Berliner eben nun mal sind. Und dann natürlich der Sigismund, der da meint, so schön zu sein, wie er hässlich ist, bis ins Mark hinein verliebt in die zickige und zudem lispelnde Klärchen, deren Befangenheit zunächst nur zögerlich schwindet, die dann aber umso heftige, sich an die Schuhsohlen des guten Sigismund heftet. Am Ende darf auch der alte und klapprige Kaiser Franz Joseph nicht fehlen, der das Spektrum all dieser skurrilen Figuren abrundet.

    Es war ein vergnüglicher Abend, der uns Heutige köstlich unterhielt, wie es üblich war für das legendäre Unterhaltungstheater der Weimarer Republik. Oskar Wedel

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