Die Adventszeit war eine sehr geheimnisvolle Zeit", erinnert sich Hilde Becker (86) gern an ihre Kindheit vor rund 75 Jahren. Beim Backen der Plätzchen haben die Kinder gern geholfen. Gemeinsam mit ihren drei Geschwistern hat auch Hilde einen Wunschzettel geschrieben und am Nikolaustag in einen Schuh gesteckt. Am nächsten Morgen war der Zettel weg, und im Schuh befanden sich einige kleine Süßigkeiten.
An den Winterabenden in der Adventszeit wurde mit den Eltern "Mensch ärgere Dich nicht" und "Halma" gespielt. "Schummeln war nicht erlaubt, wir mussten verlieren lernen" kannte der Vater kein Spaß.
Am Heiligabend sind die Kinder mit der Mutter in die Stadtkirche gegangen, während der Vater den Weihnachtsbaum aufgestellt und mit roten und silbernen Kugeln und Lametta geschmückt hat. Auch Süßigkeiten hingen am Baum, der erst Anfang Januar geplündert werden durfte. Bei der Heimkehr aus der Kirche war das Wohnzimmer abgeschlossen. Erst wurde zu Abend gegessen, damit sich die Kinder nicht an den Süßigkeiten satt essen sollten. Zu Weihnachten gab es auch immer einen "Bunten Teller" mit Süßigkeiten und Paranüssen sowie Äpfeln aus dem eigenen Garten. "Süßigkeiten, aber auch Apfelsinen waren damals etwas ganz Besonderes", blickt Hilde Becker zurück.
Wenn der Zeitpunkt der Bescherung näher kam, wurden zunächst die Kerzen am Tannenbaum angezündet, Gedichte aufgesagt und viele Weihnachtslieder gesungen. Die Geschenke waren auf dem Wohnzimmertisch unter einer Tischdecke verborgen. "Wir Kinder waren schon ganz zappelig, welche Geschenke für uns bestimmt waren; denn die Ausbeulungen unter der Decke waren unterschiedlich hoch", erinnert Hilde Becker sich. Für die beiden Brüder gab es einmal eine Dampfmaschine, die mit Spiritus in Gang gesetzt wurde, aber nur im Keller auf dem Steinboden benutzt werden durfte. Auch Stabilbaukästen waren heiß begehrt. Die beiden Jungen bekamen zu Weihnachten auch schon einmal neue Winterstiefel zum Schnüren, während die beiden Mädchen erst zu Ostern neue Schuhe bekamen.
Es gab in der Stadt kaum Geschäfte und natürlich auch keine Weihnachtsbeleuchtung. Beliebt war bei den Kindern allerdings das Spielwarengeschäft "Hespe" neben dem Schlosstor. "Dort haben wir uns die Nase am Schaufenster platt gedrückt und beobachtet, wenn eine elektrische Eisenbahn ihre Runden drehte", weiß Hilde Becker noch.
"Unsere Wünsche wurden weitestgehend erfüllt - und das bei nur einem Verdiener in der Familie", wundert sie sich noch heute. Der Vater hat bei den Gaswerken gearbeitet. Die Weihnachtsgeschenke konnten sich die Eltern nur erlauben, weil das ganze Jahr auf das Fest gespart wurde. So sei jeden Monat eine Frau Rosenfeld vom Sparverein zuhause vorbeigekommen. Sie habe Geld bekommen, das dann zu Weihnachten mit ein wenig Zinsen wieder ausgezahlt worden sei.
An den Weihnachtstagen und auch an Silvester durfte niemand das Haus verlassen.
Diese Tage gehörten der Familie. Silvester wurde ein Karpfen aus dem Schlossteich geholt, der zunächst in einer Wanne zum Entschlammen gehalten wurde. Zudem wurden Krapfen gebacken und Glühwein getrunken. An ein Feuerwerk mit Raketen und Silvesterböller kann sich Hilde Becker nicht erinnern. "Wir Kinder hatten Knallblättchen, auf die mit einem Stein gehauen wurde". Foto: hb/m