LAUENAU (al). Noch am Morgen hatten Einwohner in Feierstunden neben den Gefallenen der Kriege und der Bundeswehreinsätze auch den Verfolgten der Nazi-Herrschaft gedacht. Stunden später, am Volkstrauertag, ging es wie ein Lauffeuer durch den Flecken: Sollte in Lauenau wirklich ein Komplize gewohnt haben, der mordende Neonazi-Terroristen unterstützte?
Atemlos verfolgten viele die abendlichen Fernsehnachrichten: Sie wollten ihren Augen kaum trauen. Danach soll Holger G., der in Jena geboren ist und seit 2007 in Lauenau lebt, zwei Männern geholfen haben, die nach einem missglückten Banküberfall in Eisenach in einem Wohnwagen Selbstmord verübten. In Zusammenhang steht die Explosion eines Hauses in Zwickau, deren Bewohnerin sich inzwischen der Polizei stellte – bislang aber schweigt. Im Zuge der Ermittlungen seien die Beamten nach Angaben der Staatsanwaltschaft auf Beweise gestoßen, dass auf das Konto der beiden Männer bislang neun Morde an Besitzer von Döner-Buden gehen würden. G. soll ihnen geholfen haben: mit der Anmietung von Wohnmobilen in einer Zeit, als dieser noch in Langenhagen lebte, mit der Überlassung seines Führerscheins sowie erst vor wenigen Wochen, als er einen Reisepass weitergab. Auch von einem gegen Geld weitergereichten Personalausweis ist die Rede. Gegen den Mann wurde am Montagabend Haftbefehl erlassen.
Montagmorgen in einer stillen Wohnstraße des Fleckens. Weitaus mehr Autos als sonst kurven durch die kleine Fahrbahn, die als Sackgasse endet. Ihr Ziel: Das Haus mit der Nummer 25. Seitdem erste Fotos in den Medien zu sehen waren, ist die Neugier schlagartig gewachsen: "Der Tourismus hat eingesetzt", bemerkt ein Nachbar bitter. Es sind nicht nur Fahrzeuge, die mit ihrem Schaumburger Kennzeichen eindeutig als Hiesige zu identifizieren sind. Aus fremden Autos packen Reporter ihre Mikrofone und Kameras aus und richten Objektive auf das unscheinbare Siedlungshaus. "Willkommen" steht auf einer künstlichen Blume gleich neben einem schiefen Briefkasten; in einer offenen Garage lagern neben leeren Flaschen ein Rasenmäher und eine Kinderkarre.
So unscheinbar wie das Gebäude soll auch sein Bewohner gewesen sein, der jetzt im Mittelpunkt des Interesses steht. Der 37-jährige Holger G., der hier mit seiner Lebensgefährtin und deren Kindern lebte, habe "Guten Tag und Guten Weg" gewünscht, sagt ein Nachbar.
In den bislang vier Jahren, in denen er gleich nebenan wohnte, habe er sich "nichts zuschulden kommen lassen". Unauffällig sei er gewesen, wohl kontinuierlich seiner Arbeit bei einer Spedition im nahen Logistikpark nachgegangen. Dass G. nun am Sonntagmorgen "an der Tankstelle" verhaftet worden sei, habe er von seinem Sohn erfahren. Die Aufregung in der kleinen Wohnstraße kam erst am Nachmittag, als Streifenwagen und etliche Zivilfahrzeuge vorfuhren und deren Insassen wohl das Wohngebäude durchsuchten. Die überregionalen Medien berichteten übereinstimmend, dass belastendes Material gefunden worden sei.
Andere Anwohner sind inzwischen völlig verstört über die Ereignisse vor ihrer Haustür. "Ich sage nichts, ich mache die Tür wieder zu", sagt mürrisch eine Nachbarin auf der anderen Seite des Grundstücks 25. Und auch eine junge Mutter, die den Kinderwagen schiebt, will lieber schnell weitergehen als Fragen beantworten: "Ich habe ihn kaum gekannt, aber er war immer freundlich."
Lauenaus Bürgermeister Heinz Laufmöller sagte der Name "Holger G." bislang absolut nichts. Dessen genaue Adresse erfuhr er erst am Montagvormittag vom Schaumburger Wochenblatt.
Schon am Sonntag hatte er vor laufenden Kameras Interviews geben müssen, in denen er beteuerte, dass der Flecken "ein sehr liberaler Ort" sei. Forsche Fragen, ob es hier denn eine "braune Zelle" gebe, entgegnete er konsequent. Aber er fürchtet auch, dass es "Leute geben wird, die uns hier wohl etwas unterschieben wollen". Auffälliges gibt es am Rand des Deisters nicht: Selbst das NPD-Ergebnis bei der letzten Bundestagswahl entsprach in Lauenau in etwa dem Wahlkreisdurchschnitt.
Foto: al