1. Eine Familie kämpft mit und für ihren Sohn

    Maximilian Bock nach schwerer Verletzung auf dem Weg in den Alltag / Schweigen bei Sportverbänden

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    LAUENAU (al). Seit dem 15. März 2008 ist in der vierköpfigen Familie Bock nichts mehr wie es war. An diesem Tag ereignet sich Tauende Kilometer vom heimischen Lauenau entfernt ein schreckliches Unglück: Bei einer Tour im Rahmen eines von niedersächsischen Radsportvereinen in Hildesheim, Buchholz und Lauenau organisierten Trainingslagers stürzt der damals 15-jährige Maximilian Bock. Er erleidet schwerste Kopfverletzungen. Für Tage steht sein Leben auf der Kippe. Als er aus dem Koma erwacht, kann er nur noch die Augen bewegen. Ein Kampf zurück in den Alltag beginnt – und ein bislang ergebnisloser Kampf gegen Verantwortliche.

    Vater Wilfried Bocks Vorwurf: "Die gesamte niedersächsische Sportwelt schweigt über diesen Vorfall." Auf Briefe erhält er keine Antwort. Nun droht er mit einer Klage gegen den Trainer wegen Fahrlässigkeit.

    Fast genau dreieinhalb Jahre nach jenem Schicksalsschlag geht die Tür in der Rostocker Straße auf: Der 19-Jährige, den alle nur "Maxi" nennen, balanciert mit Vierpunktstöcken durch den Flur. "Ein Wunder", sagt Psychotherapeut Heinz-Henning Haake über seinen Patienten. Täglich kommt der Junge drei Stunden in die mit Ergotherapeutin Düster Haake geführte Praxis. Hier hat vor neun Monaten die schrittweise Rückkehr in die Normalität begonnen. Viele Kenntnisse und Fähigkeiten musste sich Maxi buchstäblich bei Null neu aneignen – von einfachen Bewegungsabläufen bis hin zu Umgang und Kontakt mit Mitmenschen. Momentan lernt er das Einkaufen, den Warenvergleich, die Nahrungszubereitung. Haake glaubt, "ihn in etwa vier Jahren halbwegs in die Selbstständigkeit entlassen" zu können. Der Therapeut lobt den Leistungswillen seines Patienten, den er gern mit anderen Fällen aus seiner langjährigen Praxis vergleicht: "Mit seiner ihm eigenen psychischen Kraft und der Hilfe seiner Familie kommt er voran."

    "Maxi" selbst lässt daran keinen Zweifel. Das Verb "will" kommt regelmäßig vor, wenn er sich zwar langsam, aber in wohlgesetzten und durchdachten Worten äußert: Er habe sich Ziele gesetzt. Eines davon stehe ganz obenan: "Ich will unbedingt das Abitur schaffen." An jenem verhängnisvollen Tag vor drei Jahren besuchte er gerade die zehnte Gymnasialklasse. Inzwischen geht es auch in kleinen Schritten mit dem Lernpensum weiter: Der pensionierte Oberstudienrat Wolfgang Schiefer hilft ihm mit wöchentlichen Gesprächen. Biologie zählt zu Maxis Lieblingsfächern. Manchmal fällt ein Stichwort, das den gelehrigen Schüler an erlerntes Wissen aus der Zeit vor seinem Unfall erinnert.

    Therapeut Haake lobt die Familie, die mit fast übermenschlichen Anstrengungen den Heilungs- und Entwicklungsprozess ihres Sohnes fördert. Das sind nicht nur die täglichen Fahrten nach Bad Nenndorf, die einen hohen Zeit- und Kostenaufwand verlangen.

    Das sind auch die Hilfestellungen, die Sabine und Wilfried Bock und Schwester Lara bieten und sie gleichzeitig als neue Herausforderungen an Sohn und Bruder stellen.

    Seit wenigen Wochen sind erste kleine Ausflüge mit dem Liegerad möglich. Und nur zu gern spielt Maxi Tischtennis, auch wenn er dabei in einen Gurt eingehängt werden muss, weil er selbst noch nicht das Gleichgewicht halten kann. Regelmäßig kommt ein Freund vorbei, mit dem er sich an der grünen Platte messen kann. Aus der Radsportabteilung des Lauenauer SV Victoria, die das junge Talent bis zu jenem verhängnisvollen Tag intensiv gefördert hatte, sind nur noch zwei Weggefährten übrig geblieben: Die beiden Senioren Detlev Hackbarth und Walter Schumacher schauen mit Maxi dann gelgentlich die Bilder im Wohnzimmer an, die einen triumphierenden schmächtigen Radler zeigen: "’Speiche" haben wir ihn genannt", grinst Hackbarth. Auch er kann es nicht verstehen, dass sich niemand aus dem Verein mehr gemeldet und nach Maxis Befinden erkundigt hat. Als kürzlich Wilfried und Maxi Bock ein Rennen in Reinsdorf als Zuschauer besuchten, gingen ehemalige Spartenverantwortliche wortlos vorbei. Familie Bock hat schon lange die Konsequenzen gezogen – und ist komplett aus dem Verein ausgetreten.

    Den Kampf gegen den Verbandssport aber setzt Wilfried Bock für seinen Sohn fort.

    Derzeit läuft eine Petition an den niedersächsischen Landtag mit dem Ziel, sich mit der Aufsichts- und Fürsorgepflicht im Sport und mit dem Sinn und Zweck von Haftpflichtversicherungen auseinanderzusetzen.

    Ihm geht es nicht allein um das eigene Schicksal: "Die Menschen sollen wissen, dass sie allein dastehen, wenn einmal etwas passiert." Dem Trainer, den Bock Fahrlässigkeit vorwirft, sei sofort Deckung durch eine Rechtsschutzversicherung gewährt worden. Doch der Geschädigte werde "mit unglaublich unsportlichen Mitteln genötigt, auf Schadensersatzansprüche zu verzichten".

    Besonders bitter stößt dem Familienvater deshalb der Internetauftritt des Landessportbunds auf. Von "Fairness und Zivilcourage" sei dort zwar die Rede, "doch nicht eine Spur davon ist zu bemerken", klagt Bock: Auf Briefe und Mails erhält er nicht einmal eine Antwort. Nun droht er mit einem letzten Mittel: der Klage gegen den Trainer. Sie muss wegen drohender Verjährung bi Ende Dezember erhoben worden sein. Foto: al

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