1. Die ganze Welt will geblendet und betrogen sein

    Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull / Zuschauer zeigen sich begeistert von der Interpretation des Mann-Klassikers

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    BAD NENNDORF. Wie sagt es der Lateiner: "Die Welt will betrogen sein." Thomas Mann greift nicht ganz so weit: "Die Welt will geblendet sein." Und so bekomme sie denn auch ihren Willen. Wie hätte Felix Krull auch je betrügen können, jener Jüngling, "von der Natur sehr freundlich ausgestattet." Mit diesen Worten führt Thomas Mann den Hörer eines Audiobook an den Abenteueroman heran.

    Einen vergnüglichen Abend erlebt das Publikum mit dem Klassiker von Thomas Mann.

    Und nun dies: "Felix Krull" auf der Bühne, was für ein Unterfangen. Meisterlich geschaffen von Lars Helmer, seit sechs Jahren Chefdramaturg an der Burghofbühne in Dinslaken. Ihm zur Seite Frank Riese, der die Inszenierung besorgt. Kein "Felix Krull" nach Thomas Mann, nein, Felix Krull pur, raffiniert angerührt, wohl von Thomas Mann inspiriert, aber höchst eigenwillig umgesetzt. Erscheint auf der Bühne doch nicht nur eine Ausgabe von Felix Krull, sondern gleich zwei. Warum? "Dem höheren Jüngling zu stillem Wachstum so willkommen, war es vergönnt, Bildung als Geschenk der Freiheit und des äußeren Müßiggangs zu erringen." Dabei entdeckte er auf dem Balkon der Bell-

    etage des großen Hotels "Zum Frankfurter Hof" ein Geschwisterpaar und realisiert "die ursprüngliche Ungetrenntheit, das berückend Menschliche in beiderlei Geschlechtsgestalt selig umfassend." Da rastet nun Lars Helmer ein. Prompt schuf er Krull I

    und Krull II: Krull I als den Älteren, bedenkenlos von einer älteren Dame zum Leben erweckt, all jene Ereignisse reflektierend, auf die Krull sowohl zurückblickt, als auch diese höchst präsent vor den gebannten Augen eines zu äußerster Neugier bewegten Publikums auftischt. Dort muss Evelyn Cron gebührende Erwähnung finden. Ist sie doch die kompetente Vermittlerin der Sprache von Thomas Mann, wie sie in ihrer skurrilen, an Selbstironie grenzenden Art nur von einem Parodisten überboten und damit verulkt werden könnte. Einfach grandios dieser Schatten von Krull II, der nun nur zu vollenden braucht, was Krull I aus dem "Brunnen der Vergangenheit" gehoben hatte. Und da steht er nun vor uns: Jonas Müller. Kraftvoll? Keineswegs! "Sehr hübsch"? Keineswegs. Strahlemann? Keineswegs! Woher also der Glanz, woher sein Vermögen, Menschen zu begeistern, zu entgeistern, zu verführen, zu lenken und zu leiten? Es ist sein geradezu aufdringlich-unaufdringliche Zurückhaltung. Und auch da noch, wo sich das Weib völlig hingibt, muss er fast befürchten sich selbst zu stoßen. Damit sind wir der Trickserei des Krull auf die Spur gekommen: "Weil ich niemals dich anhielt, hielt ich dich fest" (Rilke). So viel Selbstlosigkeit haben weder verwöhnte Damen noch die saturierten Herren jemals erlebt. Gottvoll, geradezu göttergleich dieser Jonas Müller.

    Und da figurieren sie nun: Iris Kunz in unverhüllter Hingabe an den Oberkellner, der wenig später zum Marquis de Venosta avanciert, Tina Nicole Kaiser, der Wortgewalt des zwar "aus feinbürgerlichem, wenn auch liederlichen Haus stammenden" Jünglings erliegend, schließlich die Herren Thomas Wenzel und Marco Pickart Alvero in diversen Rollen immer den Raffinessen des Schaumschlägers auf den Leim gehend.

    So hieß es einhellig aus dem Munde de Publikums: Mal wieder ein sehr vergnüglicher Abend.

    Oskar WedelFoto: privat

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