OBERNKIRCHEN (nb). "Tante Lilli" haben ihre Schülerinnen sie genannt. Der Spitzname schmälerte jedoch nicht die Autorität oder gar den Respekt, der Agnes von Dincklage entgegen gebracht wurde. Vielmehr zeigt er, dass die Pädagogin neben der nötigen Strenge auch ihre warmen Seiten und ein offenes Ohr für ihre Zöglinge hatte. 1882 in Lingen geboren, hatte sie zehn Jahre die Höhere Mädcheschule in Kassel und Leipzig besucht, bevor sie 1908 als Stiftsdame eingeführt wurde. Darauf folgte eine zweijährige Ausbildung zur Lehrerin an der Wirtschaftlichen Frauenschule Obernkirchen, später "Landfrauenschule". Nach vier Jahren praktischer Mitarbeit im Schwesternstift Börstel und der Erlangung der Lehrbefähigung in der Frauenschule Metgethen in Ostpreußen kehrte von Dincklage als Lehrerin zurück in die Bergstadt, um in der Frauenschule Geflügel- und Tierzucht zu unterrichten. Bereits nach zwei Jahren übernahm sie 1918 den Posten der Schulleiterin und bestimmte die Entwicklung der Bildungsstätte in 30 Jahren maßgeblich. Sie vermittelte Generationen von "Maiden" nicht nur die Grundsätze der Schule (Mut, Ausdauer, Idealismus und Demut), auch kulturell und in der Wirtschaft war die Pädagogin und Unternehmerin sehr aktiv. Wie alle Schulen des Reifensteiner Verbandes, die sich an dem Konzept der "Neuen Schule" orientierten, boten sie Frauen die Möglichkeit, sich als Lehrerin oder in der Haus- und Landwirtschaft ausbilden zu lassen und in die moderne Arbeits- und Leistungsgesellschaft zu integrieren. Bereits im 19. Jahrhundert hatte sich die Landfrauenschule der Frauenbildung verschrieben und war über die Grenzen von Niedersachsen hinaus bekannt. Die Maiden selbst haben ihre Ausbildungszeit an der Landfrauenschule als sehr prägend empfunden und fühlen sich der alten Schule oft noch in hohem Alter verbunden. Ausschließlich höhere Töchter und Adelige besuchten das Institut, so dass sich auf der Liste der Schülerinnen große Namen wie Königin Friederike oder die Töchter Wilhelm des Zweiten finden. Später wurde die Schule auch für die Allgemeinheit geöffnet und blieb bis in die 1970er Jahre bestehen. Um das Konzept in die Tat umzusetzen, waren starke Persönlichkeiten nötig, zu denen auch von Dincklage gehörte. Ihr ganzheitliches Verständnis von Erziehung war, neben einer qualifizierenden Bildung, von charakterlicher Persönlichkeitserziehung und der intensiven Förderung kultureller Interessen geprägt. "Sie regierte königlich und diente demütig", sagte eine Mitarbeiterin bei ihrer Verabschiedung. Susanne Wöbbeking, Äbtissin des Stiftes, beschreibt den Führungsstil von Dincklages als sehr fortschrittlich: "Der Unterricht fand auf einer wissenschaftlichen Grundlage statt." Trotz der Wahrung "resepektvoller Distanz" soll sie eine warmherzige, gütige und zugewandte Frau gewesen sein, die stets für ihre Maiden da war. Eben eine kluge Frau auf allen Ebenen. Wer Einzelheiten über sie erfahren möchte, oder die Orte ihres Wirkens mit eigenen Augen sehen, hat im Stift Obernkirchen Gelegenheit dazu. Rundgang und Ausstellung verraten ab dem 14. August Einzelheiten.Foto: p
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Auf den Spuren von Tante Lilli
Agnes von Dincklage und ihre Leben / Zwischen Distanz und Zuwendung
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