LANDKREIS (nb). Vor allem psychologische Gründe haben bei der Staatsbürgschaft zu Gunsten des angeschlagenen Automobilkonzerns Opel den Ausschlag gegeben. Ähnlich hätte auch die Abwrackprämie "psychologische Schranken" beseitigt. Diese Einschätzung äußerte der ehemalige Bundes-Finanzminister Hans Eichel (SPD) während einer Gesprächsrunde mit Vertretern der Schaumburger Wirtschaft. Auf Einladung des Wahlkreisabgeordneten Sebastian Edathy (SPD) diskutierte Eichel in der Geschäftstelle der Industrie- und Handelskammer die Grundlagen einer guten Wirtschafts- und Finanzpolitik und nahm Bezug zu den Entwicklunge der jüngeren Vergangenheit.
"Was passiert in so einer Situation, wenn wir so große Industriebetriebe kaputtgehen lassen", entegegnete Eichel auf Nachfrage von Andre Meinzen, Centerleiter von Mercedes-Benz in Stadthagen. Meinzen hatte den Sinn einer Milliardeninvestition "in einen total übersättigten Markt" in Frage gestellt und thematisierte fehlende Ausgleichsmöglichkeiten für die "Konsumdelle". Mercedes sei schließlich nur mit 1,5 Prozent an der Abwrackprämie beteiligt gewesen. Nach Einschätzung des IHK-Geschäftsführers Martin Wrede hielten sich die "Verwerfungen" der weltweiten Wirtschaftskrise in Schaumburg noch in Grenzen: "Wir sind ein Landkreis, der relativ breit aufgestellt ist, was den Mittelstand anbelangt. Wir haben eine geringe Exportquote." Dennoch gebe es Punkte, die heimischen Unternehmen am Herzen lägen und entscheidend für wirtschaftliche Gesundheit und Wachstum seien. Der Fokus des Gespräches richtete sich dabei auf die Steuerlandschaft. Eine Senkung der Einkommenssteuer lehnte Eichel dabei ab. Seiner Ansicht nach sei dieses Vorhaben angesichts der hohen staatlichen Verschuldung nicht umsetzbar und im Hinblick auf die "Schuldenbremse" sogar verfassungswidrig. Das Steuersystem habe nicht zu der Krise geführt, also könne es auch nicht die Lösung sein, meldete sich Edathy zu Wort.
Er nannte jeden Kandidaten, der Steuersenkungen verspreche, "unseriös und unredlich". Wrede bemängelte weiterhin die für Unternehmer "ungünstige Entwicklung der Gewerbesteuer". Dass neben den Gewinnen auch Kosten von Unternehmern, etwa für die Miete des Firmengebäudes, als Bemessungsgrundlage dienten, sei "ein Hemmschuh, der das Wachstum verhindern kann". Dies sei gewinnunabhängig und würde somit auch bei Konjunkturrückgang belasten. Eichel erklärte, dass der Staat auf diese Weise die Fremdfinanzierung der Unternehmen durch Kredite eindämmen und damit die Eigenfinanzierung fördern. Er positionierte an dieser Stelle nicht eindeutig. Klar drückte sich Eichel jedoch zur "Beschränkung der Verlustverrechnung" aus: Es sei nicht vertretbar, dass gesunde Unternehmen Firmen wegen ihres Verlustes aufkauften, um anschließend bei der Besteuerung des eigenen, verminderten, Gewinns zu sparen.
Der Einführung der Gewerbesteuerpflicht für Freiberufler räumte Eichel im Hinblick auf die ablehnende Haltung der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag keine Chance ein.
Die Einführung einer Besteuerung von Finanztransaktionen befürwortete Eichel indes. Vor dem Hintergrund der globalen Krise gebe es erstmalig eine Chance das zu diskutieren. Zudem äußerte der Finanzexperte den Wunsch, die Kommunen und Länder von wirtschaftlichen Schwankungen zu entlasten. "Man sollte versuchen, die Finanzen der unteren Ebene möglichst konjunkturunabhängig zu gestalten." Die Krise verursache in den Kommunen eine Investitionseinstellung. "Es ist pervers, dass wir Konjunkturpakete brauchen, um Schulen und Kindergärten in Gang zu bringen."
An der Gesprächsrunde nahmen auch der Vorsitzende des IHK-Wirtschaftsausschusses Schaumburg, Hermann Stoevesandt, Melanie Thiem, Inhaberin der gleichnamigen Werbeagentur und Vertreterin der Wirtschaftsjunioren, der Geschäftsstellenleiter der Deutschen Bank, Markus Meyer und Kai Harting vom Bückeburger Malereibetrieb und Fahrtreppen-Service. Die IHK legte Eichel ein Forderungspaket vor, dass nach der Rückkehr zu einer "soliden Ordnungs- und Finanzpolitik" verlangt. Sie sehe sich in der Pflicht, diese vor der Bundestagswahl noch einmal klar zu formulieren. Der Staat müsse den Wettbewerb stärken und Rahmenbedingungen setzen, die unternehmerisches Handeln belohnten. Zudem seien nach Auffassung der IHK Korrekturen der Steuerreform "zwingend erforderlich".
Umweltschutzvorschriften sollten praxistauglich gestaltet, eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und ein konsequenter Bürokratieabbau vorangetrieben werden. Aufgrund knapp bemessener Gesprächszeit konnten nicht alle Punkte diskutiert werden.Foto: nb