BÜCKEBURG (nb). "Da musst du dann mal einen Zahn zulegen", erklärt Heidi Hetzer zwei kleinen Jungen, die ihren Doktorwagen als ihren persönlichen Höhepunkt der Oldtimer-Parade in der Innenstadt auserkoren haben. Fragen beantwortet die Berlinerin immer gern und auch gegen ausprobieren hat sie nichts.
"Die sollen das doch auch ruhig erleben dürfen, genau dafür hab ich ihn ja", so Hetzer. "Er" ist das Geburtstagskind des diesjährigen Oldtimer-Treffens des Motorclub Bückeburg: Ein Opel von 1909.
Im Volksmund auch der Doktorwagen genannt, weil der "Herr Doktor" mit diesem Gefährt über Land seine Patienten zu besuchen pflegte. Das Lenkrad befindet sich rechts. Doch nicht etwa, weil um 1900 andere Verkehrsregeln galten oder das Automobil in England hergestellt worden wäre. Vielmehr hat diese Eigenheit einen ganz praktischen Grund: Damit der Fahrer auf den schmalen Feldwegen gut erkennen konnte, wann er zu nah an den Abgrund oder einen Feldgraben fährt, musste er eben rechts sitzen.
Auch das Benzin einspritzen ist neben dem Ankurbeln noch echte "Handarbeit": Seitlich am Lenkrad befindet sich eine Handpumpe, die mittels eingespritzter Luft das Benzin in den Vergaser weiter drückt. Sonst käme das Gefährt irgendwann zum Stillstand, obwohl es gerade mit 35 Litern vollgetankt wurde.
Viel Anstrengung bedeutet also insbesondere das Bergauffahren, da das Benzin hier physikalischen in die falsche Richtung fließt. Fast "von alleine" geht es also dann bergab. Das Hupen funktioniert mit Wasserdampf und je nachdem, wie schnell das Automobil unterwegs ist, verändert sich auch die Geschwindigkeit und Lautstärke der Hupe. Die nächste Überraschung wartet an der Tankstelle.
Tatsächlich: Er tankt sogar "Super bleifrei". "Das verbleite Benzin kam erst später", so Hetzer, "jetzt sind wir im Prinzip wieder zurück bei den Anfängen". Das Einsteigen klappt hier im Gegensatz zu modernen Sportwagen ganz elegant, denn das "Trittbrett" gehörte im ersten Drittel des 20 Jahrhunderts zum guten Ton.
Auch eine Lederkappe und ein Brille können nie verkehrt sein, denn ganz ohne Fenster der Witterung ausgesetzt, sollten Insassen Fahrtwind und Regen zumindest ein wenig entgegen setzen. Aufsitzen, Pumpen und los geht es.
So schafft der Doktorwagen stolze 70 Sachen und jeder Neuling erlebt ein unbeschreibliches Fahrgefühl, dass trotz kleiner Abstriche beim Komfort sofort ansteckt. Zumindest, wenn Heidi Hetzer als Fahrerin hinter dem Steuer sitzt und ordentlich Gas gibt. Das Gaspedal befindet sich übrigens in Form eines Hebels auf dem Lenkrad. Die Geschwindigkeit lässt sich über das Verstellen auf einem "Zahnrad" bestimmen. Wer flott sein will, muss also ganz wörtlich einen Zahn zulegen.
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