BAD NENNDORF. Großartig dieses Bühnenbild, herbeigeschafft vom Theater der Altmark in Stendal! Große Verbeugung vor der Regisseurin Claudia Göbel! "Wie sinnreich!" würde Lessing sagen. Alles ist rot in rot. Die Schräge, nach hinten erhöht, vermittelt eine beachtliche Tiefenwirkung. Versatzstücke durchbrechen den Raum, stumpfwinklig, der rechte Winkel würde zu sehr dem Prinzip der Ordnung huldigen. Hier aber ist alles disparat, will sagen: Alles strebt auseinander. Zwei, die sich kriegen sollen, huschen einander vorüber. Kaum haben sie Platz genommen, rutschen sie ab, wohl eben noch in dieser Welt, aber doch eingepuppt in den Sphären der Melancholie, die umso genüsslicher ausgekostet werden kann, als einigen Herrschaften auf dieser Welt das Unterfutter dafür vergönnt ist, das süße Nichtstun. Doch Büchner ergötzt sich nicht daran, sondern sieht die " Risiken und Nebenwirkungen": die Langeweile. Sie gebiert "grässlichen Fatalismus, unabwendbare Gewalt, materielles Elend und religiösen Fanatismus". Wie verständlich daher der Wunsch von Valerio, dem Gefährten von Leonce und designierten "Staatsminister im Reiche Popo", einen vollen Bauch zu haben, "musikalische Kehlen, klassische Leiber und eine kommode Religion". Und nun kommt die Quadratur des Zirkels. Diesem Humbug, dieser "hohlen Mittelmäßigkeit in allem" soll ein Lustspiel untergejubelt werden. Dazu sah sich Büchner veranlasst im Rahmen eines Autorenwettbewerbs. So also entstand "Leonce und Lena ein Lustspiel", erst 50 Jahre nach seiner Entstehung, 1885, zur Uraufführung gebracht. Bei einem Lustspiel erwartet man, dass gelacht wird. Kam es an als Lustspiel 2009 in Bad Nenndorf? Nein, wenn Lacher bestätigen , dass auf der Bühne ein Lustspiel abgeht. Es wurde einfach nicht gelacht, kaum geschmunzelt. Doch, einmal: als dem König Peter vom Reiche Popo bedeutet wurde, dass im Schritt sein freier Wille offen stehe. Erlaubt aber sei die Gegenfrage: Muss bei einem Lustspiel unbedingt gelacht werden? Kann es auch ankommen, wenn nicht gelacht wird? Ja, es kann, und zwar bei allen denen, die Liebhaber von Büchner sind und gediegene Kenner seiner Stücke. Sie haben allein schon ihre Freude an den Worten des Autors und der Weise, wie sie vorgetragen werden, vornehmlich natürlich von Leonce (David Prosenc) und Valerio (Marcel Hoffman), aber eben nur vorgetragen. Damit wurde Genüge getan dem rein intellektuellen Anspruch, der auch insofern gefordert war, als die Texte mit hohem Tempo ausgetragen wurden, rein sprachlich auf hohem Niveau. Keine Frage: Das war schon ein Erlebnis für sich. Nicht alle aber konnten an dieses Erlebnis heranreichen. Für sie hätte gern mehr Spiel ins Spiel gebracht werden können, mehr Skurrilität, mehr Exaltiertheit, mehr Freude an der eigenen Freudlosigkeit. So kam denn streckenweise auf, was vom Inhalt her Leitmotiv ist: Langeweile. Die hätte durchaus burlesker bedient werden können. Dies tat nur König Peter vom Reiche Popo in reichem Maße. Bernd Marquardt hatte seine helle Freude daran, dem König den Stoffel mit einer Humoreske vom Feinsten überzustülpen, ein wahrhaft lichter Moment. Bis heute fordert "Leonce und Lena" zu genialen Regieeinfällen heraus. Die hatte Claudia Göbel sehr wohl. Gebührender Beifall sicherte ihr und den Darstellern hohe Anerkennung für ein Stück, das noch immer seinesgleichen sucht. Oskar Wedel
Die "Leonce und Lena"-Inszenierung überzeugt