STRÜCKEN (ste). Es ist kalt an diesem Samstagmorgen im Winter. Das knatternde Kreischen einer Motorsäge zerschneidet die Luft und passt eigentlich gar nicht so zu einem Verein, der sich den Schutz der Natur auf die Fahne geschrieben hat. Doch was sich akustisch wie eine Naturfreveltat ankündigt, ist praktischer Naturschutz: Das "Schneiteln" von alten Kopfweiden.
Die NABU-Gruppe Rinteln fand sich jetzt auf ihrem Pachtgebiet an der Schilfwiese in Strücken ein, um die mächtig in die Höhe gewachsenen Kopfweiden zu schneiteln. An zwei Samstagen konnten auf diese Weise in mehrstündiger Arbeit 31 Kopfweiden von ihrer hölzernen Last befreit werden, die in den 1980er Jahren von der Naturschutzjugend (NAJU) angepflanzt worden waren und auf kontinuierliche Pflege angewiesen sind. Sie dienen auf der Schilfwiese als Uferbefestigung sowie als Beschattung des vorhandenen Grabens und spielen gleichzeitig eine wichtige Rolle in der Biotopvernetzung der Kulturlandschaft.
"Seitdem die Bauern keine selbstgemachten Bohnenstangen mehr benötigen, durch die Aufgabe der Grünlandwirtschaft kaum noch Zaunpfähle brauchen und Stiele für Besen, Schaufel, Handkarren im Laden kaufen, verfällt eine uralte Kultur", so Nick Büscher, 1. Vorsitzender der Rintelner Naturschützer.
Früher lieferten Kopfweiden Holz für Holzschuhe, Flechtmaterial für Kartoffelkörbe und Reisigpakete für den Backofen. Selbst das Vieh wurde mit ihren Blättern gefüttert, die mitsamt den dünnen Zweigen in der "Laube" getrocknet wurden. Heute macht das Erdölzeitalter Körbe aus Plastik, verschafft Kraftfutter aus der Dritten Welt - und wer backt schon noch im Holzofen?
Durch das regelmäßige Schneiden junger Weiden in einer Höhe von etwa zwei Metern bildet sich nach einigen Jahren der große Kopf des Baumes aus. Dieser muss dann beständig gepflegt werden, da der Baum sonst durch die schweren Äste auseinanderbricht. "Die alten Kopfweiden, jahrzehntelang von den Bauern gepflegt, das heißt pfleglich "verstümmelt", wachsen ohne erneutes Schneiteln in den Himmel, werden kopflastig, verlieren den Halt und fallen so dem ersten ernsten Herbststurm in die Arme", so Büscher weiter.
Nach der Renaturierung eines Teiches im Jahr 2007 und dem diesjährigen Kopfweidenschneiteln hofft der NABU auf eine gesunde Entwicklung dieses vielfältigen Gebietes, welches den heimischen Arten in Schaumburg als abwechslungsreicher Lebensraum dient.
Denn: Kopfweiden sind Heimat. "Mit ihnen verschwinden die Steinkäuze, die in weiten Teilen Mitteleuropas auf die Kombination von Kopfweide und Grünland angewiesen sind. Andere Höhlenbrüter wie Bachstelzen, Gartenrotschwänze und Feldsperlinge, Hohltauben und Meisen verlieren mit den alten "Erlenkönigen" ihre Heimat in der Feldflur", mahnt Büscher.
Aber noch härter trifft es die zahllosen Insektenarten, die in den oftmals angefaulten, mit Mulm reichen, zerfurchten oder ausgehöhlten Baumrecken ihre Larvenzeit verbringen oder von Blüten und Blättern leben. Weiden zählen zu den insektenreichsten Pflanzen überhaupt. Alleine über hundert Käferarten sind auf Weiden angewiesen und viele von ihnen besiedeln besonders gerne die geköpften Vertreter dieser Baumfamilie; die Kopfweiden. Unter ihnen seltene Vertreter wie Moschusbock und Weberbock. Um diese flatternde, krabbelnde, singende und brummende Vielfalt zu schützen und ein Landschaftsbild zumindest in Resten zu erhalten, in dem noch vermittelt werden kann, was der Begriff Kulturlandschaft meint, pflegt die NABU-Gruppe Rinteln die Kopfbäume durch Köpfen oder Schneiteln. Und sie erhält durch das Pflanzen neuer Weidenreihen die Grundlagen für die schon den alten Ägyptern bekannte Weidenkultur. Foto: ste