1. So eiskalt wie am Nordpol

    Max und Moritz Kindergarten besucht das Kalthaus / Erdbeerquark erinnert

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    WIEDENSAHL (mk). Obwohl die Sonne schien wie eigentlich selten in den zurückliegenden Wochen, waren Jara, Leonie und Andre doch froh, Mützen aufgesetzt und die Handschuhe mitgenommen zu haben. Immerhin minus 21 Grad herrschten dort, wo sich die Kinder des Wiedensahler Max und Moritz-Kindergartens jetzt noch einmal umsehen durften: im örtlichen Kalthaus. Nach mehr als 50 Jahren wird die genossenschaftlich betriebene Einrichtung in der Wilhelm-Busch-Gemeinde um Monatsende ihren Betreib einstellen. Passend zum Wetter hatten die Kinder Kalthaus-Betreuerin Helga Schaer zum Auftakt ihrer Visite mit einem Frühlingslied begrüßt. "Jagt den Winter fort", heißt es dort in einer Zeile. Hochwinterliche Temperaturen schlugen den jungen Besuchern dann entgegen, als die dick isolierte Tür zu den Räumen mit den Gefrierfächern geöffnet worden war. "Wie am Nordpol", kommentierte Eike sogleich, ganz so als habe er dort schon einmal den Finger in den Wind gehalten. Anakin Luc überzeugte sich derweil auf dem großen Thermometer, das exakt die von Helga Schaer angekündigten Kältegrade anzeigte. In den engen Gängen zwischen den insgesamt 168 Boxen mit 100 oder 200 Liter Fassungsvermögen suchten die Kinder, deren Eltern oder Großeltern hier noch Fleisch, Gemüse und Obst tiefgefroren lagern, deren Fächer auf. In einer geöffneten Gefrierbox durften die jungen Besucher zudem die tiefgefrorenen Lebensmittel in ihren "echt kalten" Verpackungen in die Hand nehmen, um sie schnell wieder zurückzulegen. Angesichts der Minusgrade waren die meisten Kinder froh, die Frosthalle bald wieder verlassen zu dürfen. Schon bei den Temperaturen um den Nullpunkt im Vorraum, wo noch die Kalthausordnung aus den Gründertagen dieser Einrichtung im Jahre 1958 hängt, fühlten sie sich deutlich wohler. Als Erinnerungsgeschenk übereichte Helga Schaer zum Abschluss den jungen Gästen einen großen Beutel tiefgefrorener Erdbeeren. 24 Stunden später waren die roten Früchte im Kindergarten aufgetaut. Die daraus zubereitete leckere Quarkspeise erinnerte die Kinder noch einmal an das frostige Abenteuer im Kalthaus, das die zukünftigen Kindergarten-Jahrgänge nicht mehr werden erleben können.

    Mit einem Beschluss der Generalversammlung der Wiedensahler Genossen vom 7. Oktober 2008 wird der Kalthausbetrieb zum 31. März dieses Jahres eingestellt. Bis dahin sind alle Fächer zu entleeren. Besonders im Vorjahr ging die Nutzung der Anlage an der Bahnhofsstraße so stark zurück, dass eine Weiterführung wirtschaftlich nicht mehr vertretbar ist. Auf Initiative des damaligen Bürgermeisters Hermann Krömer hatte es im Februar und März des Jahres 1955 für die Wiedensahler erste Informationsfahrten zu bereits eingerichteten Kalthäusern vornehmlich im Landkreis Nienburg gegeben. Wenig später wurde ein neunköpfiger Ausschuss gebildet, der die Gründung der Kalthaus Genossenschaft in Wiedensahl am 7. Juli 1956 vorbereitete. 33 Namen nennt die erste Mitgliederliste. Unmittelbar danach wurde das Haus mit einer Kapazität von 13600 Litern errichtet. Die Inbetriebnahme der damals insgesamt 33000 DM teueren Anlage erfolgte im Januar 1957. Schon 1960 wurden für weitere rund 10000 Liter Kältefächer angebaut. Ihren Höhepunkt erlebte das Kalthaus-Wesen 1964, als 148 Mitglieder 236 Anteile für jeweils 100 Liter Frostraum hielten. Sämtliche Kapazitäten waren damit belegt.

    Im Jahr 2004 hielten noch 93 Mitglieder bei einer Auslastung von knapp 64 Prozent Kältefächer. Doch mit Blick auf das veränderte Konsumverhalten gingen diese Zahlen immer weiter in den Keller, auch wenn der Satz "Das Einfreieren von Lebensmitteln ist die beste Konservierung" aus den Gründungsunterlagen weiterhin Gültigkeit hat. Aber eben mit der Gefriertruhe in jedem Haushalt.

    Mit der Nachnutzung des Gebäudes befasst sich auch die lokale Arbeitsgruppe zur Dorferneuerung. Eine öffentliche Toilette für die Besucher im Wilhelm-Busch-Geburtsort steht ganz oben auf der Wunschliste. Foto: privat

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