WESTERWALD (tt). Die Geschichte vom Rattenfänger aus Hameln ist weltbekannt und jedes Jahr reisen viele Menschen in die Weserstadt, um den Rattenfänger "persönlich" kennenzulernen. Umso wichtiger ist es für den Rattenfänger, die Besucher in einem angemessenen Outfit zu empfangen.
Das Kostüm des Rattenfängers von Hameln ist bunt und einmalig. "Wir haben darauf ein Patent. Niemand darf es nachmachen", erzählt der "Chef-Rattenfänger" Michael Boyer, der mal wieder zu Gast bei Schneidermeister Heinrich Wichmann in Westerwald ist, um ein neues Kostüm schneidern zu lassen. Seit über zehn Jahren schneidert Heinrich Wichmann aus der kleinen Auetal-Gemeinde die Kostüme für die Rattenfänger, von denen es mehr als einen gibt. "Allein könnte ich die vielen Termine nicht wahrnehmen", erklärt Michael Boyer, der mit weiteren zehn Kollegen im Dienst der Stadt Hameln steht. "Im Schnitt benötigen wir alle ein Kostüm pro Saison", so Boyer weiter. Durch die Empfehlung eines Kollegen war die Stadt vor gut zehn Jahren auf den Schneidermeister in Westerwald aufmerksam geworden und hatte damals den ersten Auftrag für ein Rattenfänger-Kostüm an Heinrich Wichmann vergeben. "Das ist schon etwas Besonderes und es macht mir Spaß, diese aufwendigen und schönen Kostüme anzufertigen", so der Schneidermeister. Wichmann schneidert das weiße Spitzenunterziehhemd, das bunte Gewand mit den verschiedenfarbigen Lagen Stoff, die Tasche und den Hut für die Rattenfänger. "Besonders schwierig und aufwendig ist es, die Schnitte anzufertigen. Das Kostüm besteht aus vielen einzelnen Teilen, die mit verschiedenen Details gespickt sind und je nach Größe müssen natürlich auch die Proportionen stimmen", erklärt der Schneidermeister. Jeder Handgriff muss auch bei der Anfertigung des Hutes sitzen. Die Maße müssen genauestens eingehalten werden. Schließlich wird der Hut noch mit einer großen Feder geschmückt und muss trotzdem bei Wind und Wetter fest auf dem Kopf des Rattenfängers sitzen. "Komplizierte Dinge sind mir am liebsten, doch bislang haben wir immer alles gut hinbekommen", gibt sich der Schneidermeister auch diesmal selbstbewusst. Etwa 35 bis 40 Stunden verbringt der Schneidermeister in seiner Werkstatt, ehe ein Rattenfänger-Kostüm fertig ist. Der 78-Jährige hat seine Schneidermeisterprüfung 1954 in Heidelberg abgelegt und war bis 2003 in Westerwald selbstständig. Er hat Trachten, auch für Musik- und Spielmannszüge angefertigt, Bergmannsuniformen und Kostüme für die Comic-Figuren der Sparkasse, natürlich auch Gesellschaftskleidung. "Damals trugen die Männer noch Frack", erinnert sich Wichmann. Auch die hochherrschaftliche Gesellschaft gehörte zu den Kunden des Auetaler Schneidermeisters und viele seiner Kunden sind traurig, dass er seinen Betrieb geschlossen hat. Seit knapp sechs Jahren genießt Heinrich Wichmann seinen wohlverdienten Ruhestand, wenn nicht gerade mal wieder ein Rattenfänger-Kostüm benötigt wird. "Ich weiß, dass es schwierig ist, jemanden zu finden, der das Kostüm schneidert. Und da ich es gesundheitlich noch kann und Spaß daran habe, konnte mich der Rattenfänger immer wieder davon überzeugen, von Zeit zu Zeit ein neues Kostüm zu schneidern", so Wichmann. Vor allem in diesem Jahr möchte der Rattenfänger in einem schicken neuen Gewand für die Weserstadt werben. Schließlich feiert der Rattenfänger von Hameln sein 725-jähriges Jubiläum mit zahlreichen Veranstaltungen. Foto: privat