RODENBERG (mk). Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Mit großer Aufmerksamkeit verfolgten jüngst 120 Zuhörer einen Vortrag von Dr. Joachim Gauck (69), von 1990 bis 2000 erster Bundesbauftragter für die Stasi-Unterlagen und seit einigen Jahren Bundesvorsitzender des Vereins "Gegen Vergessen - für Demokratie". Gauck war auf Vermittlung des heimischen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy in den Rodenberger Ratskeller gekommen, um im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Schaumburger Abendgespräche" der Friedrich-Ebert-Stiftung Niedersachsen über den Kampf um die Demokratie und die Notwendigkeit ihrer Verteidigung zu sprechen.
In einem Eingangsbeitrag skizzierte Sebastian Edathy, Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses, die aktuellen Herausforderungen. 60 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik und 20 Jahre nach dem Mauerfall gäbe es viele Menschen, die die Demokratie als Selbstverständlichkeit betrachteten. Das sei sie aber nicht, sie habe mühsam errungen werden müssen und müsse entsprechend "bewahrt und weiterentwickelt" werden. Joachim Gauck trug "erstmals öffentlich", wie er sagte, aus dem Manuskript für ein Buch vor, das Ende des Jahres anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der deutschen Einheit erscheinen wird. Er berichtete vom zeitweisen Aufwachsen ohne Vater, der aus Rostock nach Sibirien verschleppt wurde, von seiner Arbeit als Pastor in Mecklenburg und vom Schicksalsjahr 1989. Gauck: "Ich war 50, als ich zum ersten Mal wählen durfte. Beim Verlassen des Wahllokals kullerten mir die Tränen. Ich werde nie verstehen, dass jemand durch Nicht-Wählen ein zentrales Bürgerrecht einfach wegwirft." Nach der Euphorie der durch eine friedliche Revolution erlangten Einheit sei Alltag eingekehrt. Die größte Bedrohung für die demokratische Kultur sei Gleichgültigkeit. "Freiheit heißt Verantwortung", so Gauck. Die Bereitschaft, sich für das Gemeinwesen einzusetzen, sei wesentlich für das Gelingen der Demokratie. Ausdrücklich stimmte Gauck der Einschätzung Edathys zu, dass Demokratie nicht vererbt werden könne, sondern von jeder Generation neu erlernt werden müsse. In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum ging Gauck auf Fragen der Zuhörerschaft ein. Warum die Zustimmung zur Demokratie nach Umfragen gerade in Ostdeutschland vergleichsweise niedrig sei, wo man dort doch die Demokratie vor gar nicht allzu langer Zeit erkämpft habe? "Es gibt eine verbreitete Mentalität, dass der Staat für alles zu sorgen hat - und Mentalitäten ändern sich nur langsam", so Gauck. Warum es in Ostdeutschland eine Art DDR-Nostalgie gebe? Gauck: "Man erinnert sich lieber an das vermeintlich Positive als an Schmerzhaftes. Wir müssen immer wieder darauf hinweisen, dass die DDR ein Unrechts-Staat war und nicht verklärt werden darf." Am Ende der Veranstaltung, während der Joachim Gauck wiederholt Zwischenbeifall erhalten hatte, wurde er mit großem Applaus verabschiedet. Foto: privat