KREIS SCHAUMBURG. Ein ganzes Buch über ein Finanzamt? Die schmucklose Anlage am Rande der Stadthäger Innenstadt kennen Besucher nur als Behördensitz. Bis auf wenige Anlässe im Jahr oder auf Unterredungen bei eigenen steuerlichen Angelegenheiten bleiben die Türen verschlossen. Nur der öffentlich zugängliche Innenhof erlaubt den Blick auf die schmucklosen Welschen Giebel oder den charakteristischen Treppenturm.
Ab sofort erhältlich: der Bildband "Schloss Stadthagen – eine Residenz der Renaissance".
Da füllt der soeben erschienene Band der "Schaumburger Landschaft" eine echte Lücke. Denn weil Fürst Ernst schon 1607 die Hofhaltung nach Bückeburg verlegte, stand die Stadthäger Residenz sehr bald im Schatten der immer bedeutender werdenden Nachbarschaft. Während dort jährlich etliche Besucher über Pracht und Prunk staunen, laufen sie in der Kreisstadt an dem nicht minder bemerkenswerten bauhistorischen Kleinod vorbei, zumal der Gesamtkomplex samt Marstall und Lustgarten von Verkehrsflächen durchzogen oder anderweitig genutzt wird.
In leicht verständlicher Sprache schildern die beiden Wissenschaftler Heiner Borggrefe (Weserrenaissance-Museum Schloss Brake) und Guido von Büren (Museum Zitadelle Jülich) die Entstehung der Residenz, ihre sich wandelnde Nutzung und Teile der Einrichtung, darunter die Prunkkamine und die aufwendig gestalteten Decken. Das geht bis ins Detail – mit der Wiedergabe von Bauzeichnungen oder zeitgenössischen Darstellungen.
Großen Wert legt Borggrefe darauf, die Anlage nicht allein als Beispiel der Weserrenaissance darzustellen, sondern als frühes Projekt der sich verbreitenden italienischen Renaissance: Nach Schloss Mansfeld scheint Stadthagen das erste Beispiel im norddeutschen Raum gewesen zu sein.
Reizvoll sind die Hinweise zum höfischen Zeremoniell. Ein Inventarium von 1586 nennt unter anderem "Zwolff Leffel davon die stile verguldet". Anschaulich schildern die Autoren den Bau und die spätere Nutzung verschiedener Einrichtungen. Eine sinnvolle Ergänzung sind die Biographien der beiden Erbauer, die Grafen Adolf XIII. und Otto IV. Zu guter Letzt folgt die Betrachtung des nicht immer rühmlichen weiteren Schicksals des mächtigen Bauköprers. Unbewohnt, vielleicht geplündert, später Teilabrisse wegen Baufälligkeit. Auch der "Knopf" ist schon lange verschwunden: In dem so bezeichneten Turmhelm konnten "18 Personen füglich darin um einen Tisch sitzen" und weit ins Land schauen, bis er schon 1749 abgenommen werden musste, "weil er zu wancken anfing".
Die textlichen Darstellungen werden durch eine lange Reihe von Tafeln ergänzt: Reproduktionen historischer Ansichten, der aktuelle Zustand der Fassaden, bemerkenswerte Details vom Wappenstein über Türrahmen bis hin zu den reich verzierten Kaminen. Auf keinem Bild taucht auch nur der Zipfel einer Steuerakte oder die Ecke eines Beamtenschreibtischs auf: Die Perfektion, mit der Jutta Brüdern ihre Fotoserie gestaltet hat, gilt als ein letzter Beleg für die gelungene Konzeption des gesamten Buches. Ihm ist eine breite Leserschaft zu wünschen – und der alten Grafenresidenz mehr Aufmerksamkeit. Die Termine für Stadtführungen mit Abstecher zum Schloss können bei der Touristinformation erfragt werden; das Buch aber gibt es ab sofort im Handel zum Preis von 19,90 Euro. B.A. Foto: al