OBERNKIRCHEN (ih). Ohne Beine kam er zurück nach Bückeburg. Der Soldat hatte den zweiten Weltkrieg überlebt. Die Wunden waren groß. Sichtbare wie unsichtbare. Doch der Geist des Mannes war hellwach. Er wollte sich bewegen können und zwar allein. Also erfand der ehemalige Soldat sein Gefährt. Ein Paar Latten, Winkel und Schrauben, drei kleine Räder, Stoff und schmale Ledergurte: er baute einen Rollstuhl und sich selbst damit eine schmale Brücke zurück in das Leben. Der Mann saß in dem kleinen Kasten, die Stümpfe festgeschnallt. Mit seinen Armen trieb es sich vorwärts, Meter um Meter.
Von Hessen und
Fürstenkindern
Lasst die Lange
Straße erzählen
Das Schätzchen hält,
was es verspricht
Im Schafstall ist
große Kleinarbeit
Ohne Beine, aber mit wachem Verstand: Ein verwundeter Soldat baut sich mit diesem Rollwagen eine Brücke in das Leben.
Druckerei Ilsemann prägt das Leben auf der Langen Straße.
Lange weg, aber bald wieder da: Das Hoheitszeichen soll an seinem alten Platz für erlebbare Geschichte sorgen.
Etwas staubig, aber heiß begehrt: Agfa machte bereits ein Angebot für den ersten Fotokopierer seines Unternehmens.
Vermutlich geklaut, auf jeden Fall nicht mehr da. An den alten Grenzpfosten in der Langen Straße in Obernkirchen fehlt der preußische Adler schon lange. Er markierte früher die Grenze zwischen dem Fürstentum Schaumburg-Lippe und der Grafschaft Schaumburg. Der schwarze Adler zierte das Hoheitszeichen. Obwohl es die Grenze quer durch den Landkreis Schaumburg nur noch in den Geschichten über die Hessen und die Fürstenkinder gibt, wird das Hoheitszeichen wieder angebracht. Eben um die Geschichten zu erlebbarer Geschichte werden zu lassen.
Die Lange Straße in Obernkirchen hätte noch mehr zu erzählen, könnte sie reden. Die Druckerei W.C. Ilsemann prägte dort 75 Jahre lang das Geschehen. In der Buch- und Papierhandlung gab es alles, was des Schreibers Herz begehrte. Bleistifte aller Härtegrade, Papier in unterschiedlichen Stärken. Bücher für Wissenshungrige und Bürobedarf für Arbeitswütige. Auf dem alten Boston-Tiegel, einer Druckpresse, entstanden unzählige Visitenkarten für die Obernkirchner, Einladungen und Danksagungen und wahrscheinlich vieles mehr. Über einen langen Hebel bediente sie der Drucker per Hand. Jede einzelne Seite. Heute steht das Gebäude leer, der Boston-Tiegel hat aber immer noch seinen festen Platz in Obernkirchen.
Früher, vor knapp 90 Jahren, hatte die Stadt Obernkirchen eine moderne Verwaltung. Denn der erste Fotokopierer, den es auf dem Markt gab, stand den Beamten der Bergstadt in den 1920er Jahren zur Verfügung. Irgendwo aus den Tiefen des Obernkirchner Rathauses ist der "Seriograph IA" aufgetaucht. Ein Schätzchen, denn er hielt, was er versprach. Er kopierte Fotos. Nicht mehr und nicht weniger. Die Firma Agfa rief vor einiger Zeit im Rathaus an, um den Seriograph zurückzukaufen. Doch die Stadt behielt ihn lieber. Nun steht er, etwas eingestaubt, inmitten von Truhen, Spinnrädern und Saurierfährten.
Das neue Museumsdepot in Obernkirchen enthält viele solcher Geschichten und ist dabei selbst eine. Die offizielle Eröffnung nach einer kompakten Umbauphase liegt gut eine Woche zurück. Die Türen sind für die Öffentlichkeit wieder verschlossen. Einzigartig in Deutschland ist das Depot. Denn mehrere Museen teilen sich den Platz und die Arbeit.Rolf-Bernd de Groot, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Museen/Volkskunde der Schaumburger Landschaft, hat viel zu tun. Kleinarbeit. Die Regale müssen gefüllt werden. Doch nur mit wirklich wichtigen Exponaten. Mit den ehrenamtlichen Museumsmitarbeitern ging de Groot auf Entdeckungstour.
Er zeigte, was in der Zehntscheune und dem angrenzenden Schafstall noch alles zu tun ist. Entsammlung steht auf dem Programm. Butterfässer, Wäschewringer, Spinnräder und Hochzeitstruhen gibt es genug. Fast alle Schaumburger Museen haben diese Alltagsgegenstände in ihrem Bestand. Doch eine Modepuppe aus den 1930er Jahren haben nur wenige. Das Museum Rinteln zum Beispiel. An ihr wird deutlich, was für ein Schönheitsideal vor gut 70 Jahren gängig war. Der Biedermeierschlitten, der handgedrechselte Paravent oder die Kartoffelsortiermaschine sind weitere Kulturgüter, die von der vielfältigen Geschichte in Schaumburg erzählen.
Die Obernkirchner Museumsmitarbeiter sind beeindruckt. Von der riesigen Zehntscheune, die sie eigentlich nur von außen kennen. Von den Umbauten, die eine fünfmal so große Lagerfläche hervorgebracht haben. Und von den Geschichten, die sich darin verstecken. Foto: ih