1. Mit viel Speck auf der Seele

    Doris Dörrie stellt sich im Kurtheater mit "Happy" vor / Darsteller geben dem Spiel seinen Schwung

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    BAD NENNDORF. Alles Unfug; unsagbarer Unfug, infantiler Schwachsinn! Ausgewachsene Leute sollen Topfschlagen spielen? Dekadenz in Hochform! Oder darf man Doris Dörrie zur Garde der "Neonaturalisten" zählen, ein Begriff, den es möglicherweise noch gar nicht gibt? Begnügt sie sich doch mit Typen auf der Bühne, die nun einmal so sind, wie sie sind: völlig auf sich bezogen, darauf abgestellt, den anderen "zu erobern, zu bestzen und auszubeuten", ob das Weib den Mann oder der Mann das Weib. Ist man mit seiner Kunst am Ende, wird die Psychologie bemüht: man mustert einander bis ins Mark, wird einander zum Kotzen langweilig, nichts macht Mut, wieder einmal für einander fremd zu werden. Erst dann wäre Sex doch geil. "Happy" heißt das Stück, ein "Drama" genannt. Ist das nicht ein bisschen hoch gegriffen? In einem Drama muss Erregendes passieren, es muss gehandelt werden. Kaum aber wird der Ansatz zum Spiel unternommen, da begehrt Charlotte auf: "Ich habe es satt mit diesen Spielen, die nichts bedeuten, gar nichts". So gerät denn jedes Spiel zum "Scheißspiel", jeder vermeintlich gescheiterte Beweis zum "Scheißbeweis", und überhaupt wird "Scheiße" zum Leitwort schlechthin. Viel zu schade, um "happy" noch ins geliebte Deutsch zu übertragen: "glücklich"? "Jetzt sind wir happy, aber früher waren wir glücklich". Ja, früher, als Charlottes Mann Dylan noch nicht mit Katzenklos Millionen Katzen froh machte, um selbst dabei immer weniger lustig zu werden.

    Das Publikum spendet viel Applaus und lobt damit die Darsteller und die gesamte Inszenierung.

    Charlotte also und Dylan: Sie eine keifige, über die Maßen aufgetakelte Neureiche, betrübt über die Blindheit ihres Mannes, der auch nach genauem Hinsehen nicht erfasst, "dass ich mir den Hintern habe absaugen lassen". Die auf hiesiger Bühne nicht ganz unbekannte Michaela Allendorf gickelt und gackelt ihr Umfeld doof und dämlich; um bei aller Gackelei dann aber doch zum Wackeln und ins Sinnieren zu kommen, wenn erst die Perücke abgesetzt ist und der Alltag sie wieder eingeholt hat – toll, diese Michaela Allendorf. Dylans belegte Stimme, die ihm Andreas Torwesten leiht, zeigt allein schon damit an, wie öde doch alles ist, die Liebe für ihn lediglich wie ein "Ventilator ist, der mal heiße, mal kalte Luft in deine Richtung bläst und mal überhaupt keine". Und dann die beiden geschiedenen Leute, die aber doch nicht von einander lassen können: Emilia und Felix. Lena Stamm spielt Emilia, zunächst abrupt und wild entschlossen, nichts mehr mit Felix zu tun haben zu wollen, dann aber verschwebend in Sphären, in denen sie doch meint, Vergangenes wieder einfangen zu können. Lena Stamm meistert diesen Spagat. Patrick Heppt versteht es, als gescheiterter Ehemann nun umso betonter den aufgeplusterten Kraftmeier zu demonstrieren.

    Es bleiben Anette und Boris, die ach so Verliebten. Auch ihnen bleibt es nicht erspart, sich anzugiften, aber auch zu erkennen, in welchen Schwachsinn sie verwoben sind. Hier brilliert Katharina Wilberg als naive und zugleich als so distanzierte und geradezu angewiderte Teilnehmerin einer Begegnung von Menschen, die alle samt einen Sprung in der Schüssel zu haben scheinen So wunderbar sie auch ihr Lachen zur Schau bringen kann, diese wunderbare Katharina Wilberg, so rasch erstickt es im morbiden Ambiente, auf das auch sie sich nun einmal eingelassen hat. Und Boris, ihr Geliebter, dackelt brav hinterher. Martin Konrad Becker bleibt nichts anderes übrig, als im Schatten seiner Partnerin zu verbleiben, in dieser Position er sich dann aber auch wacker behauptet. Was gibt dem Spiel seinen Schwung? Natürlich vor allem die Darsteller, zuvor aber Doris Dörrie, die die Dekadenz mit so viel Brechungen zu skizzieren weiß, das ein gut gefülltes Haus nicht mit Applaus sparte, und dies für eine Inszenierung, die das "Theater für Niedersachsen" wieder einmal einer Frau übertragen hatte: Petra Wüllenweber.

    Glückwunsch!

    Oskar Wedel

    Foto: privat

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