RODENBERG (wm). Die Schaumburger Deutsch-Amerikanische Gesellschaft pflegt, wie im Wochenblatt zu lesen war, weiterhin rege Kontakte nach Schaumburg, USA, begleitet von gegenseitigen Besuchen. Unsere Berichterstattung hat Leser verstärkt dazu angeregt, in alten Papieren zu suchen. So bekamen wir nun von einer Nordschaumburger Familie ein seltenes Dokument: den Brief, mit dem ein Auswanderer seinen Angehörigen die Reise und seinen Start in Amerika schildert.
Fred (Johann Friedrich) Bartels schrieb ihn an die Familie Wilkening in Soldorf, Schwester und Schwager, am 28. April 1848 aus "Schaumburg im Staate Illinois". Wie sah es damals hier bei uns aus? In Deutschland war Wochen vorher - was er bestimmt nicht wusste - die Revolution ausgebrochen. Von Minden nach Hannover fuhren erstmals Züge. In Rodenberg stand noch das stolze Schloss. In Soldorf sprudelte die Rohstoffquelle für das hessische Salzwerk an der Rodenberger Aue. Aber die Menschen wanderten in hellen Scharen aus! Was die Landbevölkerung dazu trieb, klingt aus dem Brief deutlich heraus. Wir geben hier einige gekürzte Auszüge wieder. "Unsere Reise von Bremerhaven nach New York dauerte 6 Wochen, und obgleich dieselbe mit mancherlei Unannehmlichkeiten verknüpft war, so waren wir doch recht vergnügt und überstanden sie viel leichter, als wir geglaubt hatten. Wir trösteten uns immerfort mit dem Gedanken, dass die wenigen Wochen geschwind dahineilten und dass wir dann reichlich Ersatz für alles Unangenehme erfahren würden - denn wir segelten ja nach dem Lande der Freiheit, des Segens und des Glücks und nach dem Kanaan, worin wir die Plackerei und die Sklaverei vergessen sollten, die wir in dem Diensthause Deutschlands erlitten hatten. Und diese Hoffnungen haben uns Gott sei Dank nicht getäuscht, nein, sie sind noch unendlich übertroffen und wir haben allen Grund auszurufen: Hier ist gut sein! Hier lasst uns Hütten bauen!
Von New York fuhren wir mit einem großen Dampfschiff nach Albany, von da auf einer Eisenbahn nach Buffalo, dann auf einem Dampfschiff nach Chicago und von da zu Wagen nach dem 24 englische Meilen entfernten Orte unserer Bestimmung. Sobald unsere deutschen Bekannten im Lande erfuhren, dass wir in Chicago angekommen seien, kamen sie mit Gespann, um uns abzuholen. Ich zog mit meiner ganzen Familie sogleich bei unserem deutschen Freunde Böger ein, wo wir sehr gastfreundliche Aufnahme fanden. Nach wenigen Tagen kam ich zur Einsicht, dass dieses Land große Vorzüge vor Deutschland haben müsse, denn ich sehe, dass Leute, die ich als unvermögend gekannt hatte, hier in wenigen Jahren große Höfe verdient haben. Ja, das Land ist so billig und der Verdienst so gut, dass Leute, die nur irgendwie Lust zur Arbeit haben, sich hier in kurzer Zeit ein Stück Land erwerben können, das ihnen und ihren Kindern ein sorgenfreies Auskommen sichert. Ein Knecht in Deutschland, der nicht von Haus aus Geld hat, bleibt sein ganzes Leben hindurch ein Sklave und seine Kinder werden wieder Sklaven. Hier aber, wo ein Knecht 100 Dollar oder 133 Taler im Jahr verdient, ist es für ihn ein Leichtes, 40 oder 80 Morgen Land zu kaufen und somit sich selbst zum eigenen Herrn und seine Kinder zu glücklichen Leuten zu machen. Land ist in noch ungeheurer Menge vorhanden. Nach neuerlicher Berechnung: Wenn alle Deutschen nach Amerika zögen, könnte eine jede Familie noch 28 Acker (acres) Land bekommen." (Bartels schildert dann, was uns heute weniger sagt: Bodenqualitäten, Feldbestellung mit Pferden und Ochsen, vorteilhafte Bearbeitungsweisen, Feldfrüchte, das Überwiegen des Weizenanbaus, erstaunlich wenige Stunden für jede Arbeit, ausreichend Dünger, genügend Futtermittel, hohe Ernteerträge, den guten Absatz in Chicago und die Preise: "Immer so, dass der Landmann für seine Arbeit einen wirklichen Gewinn hat.") Er gipfelt in Betrachtungen über das tägliche Leben, über die Gemeinschaft in Schaumburg-Illinois und über das Freiheitsgefühl in den damals noch jungen Vereinigten Staaten. Wer den Satz liest: "Für Arme brauchen wir hier nicht zu sorgen, denn gottlob gibt es keine, die ersten Bettler in Amerika muss ich noch sehen," dem wird bewusst, wie anders sich die Verhältnisse auch dort gestaltet haben. Wenn denn Fred Bartels nicht ohnehin zu überschwenglich war in der ersten Bewunderung für sein "neues Vaterland" (wie er es nennt). - Weitere interessante Briefauszüge folgen in einem 2. Teil. Foto: wm/Arch