1. Auf einen Kaffee mit Ralf Jan

    Dieser Eintrag wird bereitgestellt durch Schaumburger Wochenblatt | Impressum

    Auf einen Kaffee mit Ralf Janßen Der Rodenberger Pastor über die großen Chancen der Krise Alter: 61 Jahre Wohnort: Rodenberg Beruf: seit 2005 Pastor der St. Jacobi-Gemeinde Hobbys: Fußball (Borussia Dortmund), Musik, unter anderem spielt er Dudelsack und Posaune, Kunst/Malen, seine Modelleisenbahn und -autos Lieblingsfortbewegungsmittel: Findet Autos toll, aber auch die Vespa und das Rad Lebensmotto: Wer Gott vertraut, hat wohl gebaut im Himmel und auf Erden. Schaumburger Wochenblatt: Ein Osterfest mit geschlossener Kirche - das haben Sie, Herr Janßen, auch noch nicht erlebt, oder? Ralf Janßen: Nein, und die Kirchengemeinde wahrscheinlich auch nicht. SW: Wie gehen Sie persönlich damit um? Janßen: Nach der Empfehlung aus dem Landeskirchenamt haben wir im Kirchenvorstand sofort den Entschluss gefasst, in Verantwortung vor Gott und für die uns anvertrauten Menschen unsere Kirche geschlossen zu halten, weil wir einen Feind haben, der sinnlich nicht wahrnehmbar ist. Einem solchen Feind kann man nicht fahrlässig begegnen. Jetzt scharrt alles mit den Hufen und will, dass wir zur Normalität zurückkehren. Aber es gibt Parameter, die zurzeit noch nicht dafür sprechen. Und dass die Regierung so einmütig und beharrlich ist und an diesen Daten zunächst einmal nicht rütteln lässt, halte ich für weise Entscheidungen. SW: Wie geht die Kirche damit um? Janßen: Wir haben überlegt, wie wir dieses Defizit auffangen können. Wir können den Gottesdienst in der gewohnten Form nicht ersetzen. Wir versuchen den Menschen, die auf das Internet zugreifen können, etwas Anderes anzubieten. Zu den Sonntagen werden die Predigten online gestellt (Anm. d. Red.: www.st-jacobi-rodenberg.de). Zudem laden wir die Gemeinde ein, sich an der Aktion "10 um 10" zu beteiligen. Dahinter steht der Versuch zur Gottesdienstzeit, also sonntags um 10 Uhr, möglichst viele Menschen einzuladen, Fürbitte zu halten und dabei an zehn Menschen zu denken, sodass daraus ein Gemeindegebet entsteht. Ich habe dafür ein Gebet formuliert, das neben den Wochenliedern auch im Internet steht. SW: Und wie erreichen Sie die Menschen, die mit der Digitalisierung wenig anfangen können? Janßen: Ich weiß ganz gut, wer zu unserem Besucherstamm gehört. Und die habe ich zum Teil angerufen. Anderen, von denen wir wissen, dass sie nicht ganz so flexibel unterwegs sind, drucken wir die Sonntagspredigten aus. Es gibt zwölf Jugendliche aus der evangelischen Jugend, die die Predigten in die Häuser bringen. SW: Welche Chancen birgt der Ausnahmezustand? Janßen: Es ist für mich ein grandioses Beispiel für die Gebetssituation. Ich sitze hier morgens um sechs Uhr - ich bin Frühaufsteher - und bete. Unser Tag ist, wenn er normal verläuft, geprägt von Aktivitäten, von tausend Sachen. Und wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, ist das Leben sehr viel schneller geworden, ohne dass wir es gemerkt haben. In diesem Shutdown haben wir die großartige Chance, unser hochgefahrenes Leben runterzukochen und zu gucken: Was ist wirklich wichtig? SW: Und das wäre? Janßen: Bestimmt nicht 30 000 Klopapierrollen. Das ist ja eine Konsequenz dieses Überhitzten, die Leute fangen an zu hamstern. Ist das eine Viruskrise, die auf den Darm geschlagen ist? Haben die heimlich eine Pizzeria zu Hause oder wofür das viele Mehl? Was denen fehlt, ist das Grundvertrauen. Wir müssen einfach lernen auch ein Stück weit wieder zu vertrauen. Wir verhungern nicht und wir leben auch nicht in einer Diktatur. Das, was jetzt passiert, geschieht zu unserem Schutz. Dieses Virus ist eine große Gefahr. Und deshalb sind auch alle Schnellschüsse fehl am Platz. Ich bin froh, dass wir in einer Kirchengemeinde leben, in der wir an einem Strang ziehen, in der Vernunft neben dem Gottvertrauen eine Grundlage ist, auf der man Entscheidungen fällen kann und auch gut nach außen vertreten kann. Zu Ostern zum Beispiel gibt es eine Sonderausgabe des Gemeindebriefs, der in seiner bekannten Form bis Mai pausiert. Es gibt ein Grußwort von mir, in dem steht, was die Leute im Internet finden können. Dann gibt es zu Gründonnerstag, Karfreitag und Ostern jeweils eine Doppelseite mit einem Bild und Auslegungen von mir. Das können sich die Menschen angucken, durchlesen und darüber nachdenken. Und ich richte ein zusätzliches persönliches Grußwort an die Leute in Heimen. Ich kann sie jetzt nicht besuchen, aber: Der Apostel Paulus konnte auch nicht alle besuchen, dann hat er den Menschen halt den Korintherbrief geschrieben. SW: Welchen Rat haben Sie darüber hinaus, wie sich geistliche Wünsche und Bedürfnisse an den Ostertagen noch berücksichtigen lassen? Janßen: Es gibt die Möglichkeit zu beten. Und das ist mehr als nur: Ich bleib' mit meinen Gedanken allein. Die Mönche im frühen Christentum, die in die Wüste gegangen sind, um Gott zu finden, die haben zunächst einmal sich selbst gefunden. Ich glaube, das ist ein gutes Ziel. Man könnte es auch als Sinn des Lebens bezeichnen, dass man seine Mitte findet, wie man glücklich wird. Wenn ich anfange zu beten, bedenke ich mein Leben vor Gott. Da sehe ich die Unebenheiten, die es gibt, die verbunden sind mit den Wünschen, es wäre doch anders. Ich muss auch die Wunden hinnehmen. Und ich kann natürlich Hoffnungen formulieren und nach vorne schauen. Aus der Heiligen Schrift kann man Antworten bekommen. Und wer gar nicht weiter weiß, der darf natürlich anrufen. Manchmal ist es wichtig, jemanden zu haben, der zuhört und auch nochmal ein Wort dazu sprechen kann. SW: Das heißt, die soziale Distanzierung kann für einen selbst und den eigenen Glauben auch eine Art Festigung bedeuten? Janßen: Natürlich. Also diese Einkehr, Klausur hat es immer gegeben. Ich glaube, dass wir von Neuem beten lernen, dass wir uns mehr Zeit für uns selbst nehmen. Das Gebet ist nicht nur eine fromme Übung, die wir runterjagen, sondern es ist eine Lebensform. Das hat auch etwas mit Seelenhygiene zu tun, mit dem Dreck, der uns begegnet und von dem wir uns distanzieren müssen und wollen. Beten ist nichts anderes, als dass wir wieder neu starten. Und wir leben ja nicht völlig jenseits der Normalität. Wir können einkaufen und nach draußen gehen, uns bewegen. Nur die Sozialform, die wir sonst pflegen, können wir nicht praktizieren. Jugendliche leiden da sehr stark drunter, nicht das machen zu können, was sie wollen. SW: Und inwiefern ist die Sorge berechtigt, dass durch das Corona-Virus und dessen Auswirkungen auf den Kontakt zur Kirche womöglich Gemeindemitglieder austreten? Janßen: Das ist bislang nicht passiert. Wir haben zwar frühzeitig mit den Gottesdiensten auch die Konfirmationen abgesagt, noch vor allen anderen. Aber wir sind in unserer Kommunikation deutlich und bestimmt gewesen. Bei uns ist Ruhe. Allen ist klar, das geht im Moment nicht. Es geht um ein Stillhalten, darum die Situation auszuhalten, damit das am Ende wirklich gut wird.

  2. Kommentare

    Bitte melden Sie sich an