1. Zwischen ärztlicher Mangelware und einer Überversorgung

    Verteilung und Nachfolge von Ärzten stellen Schaumburg vor eine Herausforderung / Reform der Bedarfsplanung angedacht

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    LANDKREIS (jl). Das Thema Ärztemangel bleibt ein brisantes. Während zwei der vier Hausärztlichen Planungsbereiche (HPB) in Schaumburg rein rechnerisch an der Grenze zur Überversorgung kratzen, fehlen alleine im Stadthäger Raum zehn Ärzte. Fachärztlich ist der Landkreis theoretisch sogar überversorgt. Der Paukenschlag aber lauert in der Zukunft: Sowohl bei den Haus- als auch Fachärzten ist heute mehr als ein Drittel älter als 60 Jahre. Und den Nachwuchs zieht es in größere Städte. Daher spricht der Rodenberger Hausarzt Michael Harbeck auch von einem Landärztemangel. Beim Neujahrsempfang der Deisterstadt gab er mit Zahlen von 2016 der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) einen Überblick der Arztversorgung in Schaumburg. Fachärztliche Überversorgung versus lange Wartezeiten Politik muss sich um Erhalt der Arztsitze kümmern Image der Hausärzte muss sich verbessern Ein Hausarzt für 1659 Menschen Das allgemeine Gefühl suggeriert, dass es immer weniger Ärzte gebe. Bundesweit betrachtet ist es faktisch aber genau anders herum: Während im Jahre 1955 ein Arzt noch 832 Einwohner behandelte, mussten sich 2015 nur 219 Einwohner einen Mediziner "teilen". Der ländliche Raum aber bestätigt jenes Gefühl: In Schaumburg gibt es einen Hausarzt für 1659 Einwohner. 95 sind es insgesamt. Und die, so formuliert es Kreissprecher Klaus Heimann, verteilen sich ungleichmäßig. In vier Gebiete gliedert sich der Landkreis bei der Berechnung des Versorgungsgrades. Ein Wert, der die tatsächliche Arztzahl mit der nach der gelten Bedarfsplanung erforderlichen Zahl ins Verhältnis setzt. Mit 109,8 Prozent - ab 110 gilt die Überversorgung - hat der HPB Bückeburg seine Kapazität so gut wie ausgereizt. Lediglich eine halbe Zulassung ist noch möglich, bis er gesperrt wird. Im Mittelbereich Nenndorf (105,5 Prozent) bleibt nur eine freie Stelle. Luft nach oben hingegen haben der HPB Rinteln mit einer 94,2-prozentigen Versorgung respektive mit drei möglichen Zulassungen und der HPB Stadthagen mit nur 88,6 Prozent - das entspricht ganzen zehn möglichen Zulassungen. Keinen Spielraum gibt es derzeit bei den 129 in Schaumburg fachärztlich Praktizierenden. "Überall Überversorgung", bringt es Harbeck auf den Punkt, "ganz Schaumburg ist gesperrt für weitere Fachärzte". Der Grad der Überversorgung reicht von 116 Prozent (Augenärzte) bis 188 Prozent (Psychotherapeuten). Auf einen Facharzt kommen 1221 Bürger. Der Theorie stehen mitunter horrende Wartezeiten gegenüber. Wie Harbeck skizziert, könnten schon mal sechs Monate bis zu einem freien Augenarzttermin oder drei Monate für einen Besuch beim Orthopäden verstreichen. Wie kann das sein? Die Bedarfsplanung basiert auf einem fortgeschriebenen mathematischen Modell aus den Neunzigerjahren. Dass dies nicht unbedingt die Versorgungsrealität widerspiegelt, räumt auch der Geschäftsführer der KVN-Bezirksstelle Hannover, Bernhard Specker, ein: "Eine echte Versorgungsplanung wird durch die geltende, bundesweit vorgegebene Bedarfsplanung nicht abgebildet." Durch die demographische Entwicklung und den medizinischen Fortschritt steige die Nachfrage nach ärztlicher Versorgung immer mehr. Zudem bevorzuge die neue Ärztegeneration eher Anstellungsverhältnisse, oft auf Teilzeitbasis. Immerhin: Eine Reform der Bedarfsplanung wird laut Specker derzeit auf Bundesebene vorbereitet. Entscheidend ist, ob es gelingt, Ärzte in der Zukunft für eine Tätigkeit insbesondere auf dem Land zu begeistern. "Die hausärztliche Versorgung ist ein Problem, im ländlichen Bereich wird es immer dünner", sagt dazu Kreisrat Heimann. Denn bis zum Jahr 2025 müssen allein in Schaumburg 29 Hausärzte und 43 Fachärzte aus Altersgründen nachbesetzt werden. Vor allem Schaumburgs kleine Orte mit weniger als 2500 Einwohnern sind laut dem Kreissprecher langfristig von einem akuten Ärztemangel bedroht. Dabei beruft er sich auf eine von der Fachhochschule Hamburg-Harburg begleitete Untersuchung. Ein Problem sei auch, dass sich drei Viertel der Ärzte in größeren Ortschaften (über 10.000 Einwohner) ansiedeln - dort leben aber nur 65 Prozent der ansässigen Bevölkerung. "Damit uns die Sitze erhalten bleiben", fordert Hausarzt Harbeck die Kommunalpolitik auf, sich zu kümmern und gerade bei den über 60-jährigen Ärzten frühzeitig das Gespräch zu suchen. Für eine erfolgreiche Nachfolge seien in erster Linie moderne und adäquate Räumlichkeiten unerlässlich. Als gute Beispiele nannte er Versorgungszentren wie das Wincklerbad in Bad Nenndorfer und das geplante Ärztehaus in Apelern. Zudem braucht es ein Umdenken. Die Medizin wird laut Harbeck immer weiblicher, die Rahmenbedingungen für Ärztinnen in Deutschland seien jedoch "katastrophal". Hier müsse die Politik maßgeblich eingreifen, um Beruf und Familie besser zu vereinbaren. Er sprach von einem "ungenutzten Potenzial". "Und wir müssen das Image der Hausärzte verbessern", so der Rodenberger Hausarzt. Denn nur noch ein Zehntel der Studenten wolle sich in diesem Bereich ausbilden lassen. Mit gezielten Maßnahmen versuchen sowohl die KVN - zum Beispiel mit Förderungen für Niederlassungen - als auch der Landkreis Hausärzte zu gewinnen. Letzterer ist Mitglied der Innovationsgruppe "UrbanRural Solutions". Aus dem Aufbau eines berufsübergreifenden Netzwerkes zum Beispiel erhofft sich Heimann mehr Gemeinschaftspraxen, die dem Lebensmodell junger Ärzte entgegenkommen. Foto: jl

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