1. Das Theater darf alles, doch nicht alles frommt

    Theatergastspiel im Gymnasium Bad Nenndorf zeigt ungeschönten Blick in den Spiegel der Gesellschaft

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    BAD NENNDORF (em)."Neu über die in der heutigen Zeit vorherrschende Gewalt nachzudenken, ist unser aller Aufgabe." In den Dienst dieser Aufgabe hat sich der Regisseur Marc Lunghuß gestellt und dazu die Dramatisierung eines Romans abgerufen, der vor 100 Jahren bereits Furore machte: "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" von Robert Musil.

    Vor eineinhalb Jahren fand die Premiere im Rheinischen Landestheater in Neuss statt; sie sorgte für Aufsehen bei Publikum und Presse, nicht minder nun auch in Bad Nenndorf, vorsichtshalber vorgeführt im abgesteckten Rahmen einer Aufführung für Schüler im Forum des Gymnasiums. Und das war ganz richtig so: Auch hier ging es nicht ohne Aufsehen ab.

    Doch der Reihe nach. Was wurde gezeigt? "Ein Spiegel gesellschaftlicher Prozesse", wie es in einführenden Worten zur Inszenierung heißt.

    Will sagen: Vergewaltigung, Mobbing, Spaß an Gewalt und Quälerei, alles vor 100 Jahren glaubhaft belegt von Robert Musil und leider bis heute nicht unbekannt. Vorliegende Texte, vier "Schülern" in den Mund gelegt, brauchten lediglich ins Bild gesetzt und präsentiert zu werden. Und da ging es dann zur Sache: heftig, rüde, rigide, anstößig, wenn auch mit der Absicht, anzustoßen um nachzudenken.

    Ging diese Rechnung auf? Der Schreiber dieser Zeilen kann nicht leugnen, eine gehörige Portion Zorn im Bauch verspürt zu haben. Doch auch hier der Reihe nach. Was sagten die Schüler der 10. und 11. Klassen, und hier vornehmlich die viel gesprächsbereiteren Mädchen? "Also ich fand es gut, endlich mal was anderes." - "Gespielt wurde ja ganz toll, ganz schön mutig." - "Toll gespielt, aber anfangen kann ich damit nichts" - "Irgendwie war es auch übertrieben, eigentlich unangemessen, weniger wäre mehr gewesen." - "Also wenn ich abgeschreckt werden sollte von Gewalt und Folter und Psychoterror, dann ist das voll gelungen. Widerlich, dass Menschen sich so etwas antun können, vor allem sind es ja Menschen wie du und ich. Das ist wirklich erschreckend." - "Ich war ratlos." - "Ich war schockiert." Doch Vorsicht, bestimmt nicht deswegen schockiert, weil da plötzlich ein nacktes Bürschchen auf der Bühne stand.

    Das war sogar nicht einmal ohne einen gewissen ästhetischen Reiz, weil er eben nur stand. Als die Turbulenzen aber sich ins Exzessiver verstiegen, wurde überschritten, was eine Kritik als "Ekelgrenze" bezeichnete. Nun, auch das musste aus- und durchgehalten werden.

    Was sagt nun der Schreiber dieser Zeilen dazu? Er musste sich doch ein wenig dämpfen lassen durch das Wort eines Gleichaltrigen, also eines Siebzigjährigen, der diese Präsentation ausgesprochen gut fand.

    Sein Fazit; Theater darf alles, alle Reaktionen sind möglich, weil erlaubt. Glück für uns, die wir alles erleben, alles ausleben, alles wohl auch erleiden und wohl auch jenen Stimmen Raum geben dürfen, die meinen, dass allerdings nicht immer alles frommt.

    Dank an den Nenndorfer Theaterleiter Winfried Busse, der Marc Lunghß und seine Inszenierung nach Bad Nenndorf einlud, um zu sehen, was aus dem ehemaligen Abiturienten von 1994 im Laufe von gut 15 Jahren geworden ist: "ein genialer Mann", so eine Theaterdramaturgin.

    Oskar Wedel

    Foto: privat

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